Hamburg. „Corsage“ erzählt eine etwas andere „Sissi“-Geschichte, bei der es auch um die Magersucht und den Fitnesswahn der Kaiserin geht.
Der heftigste Vorwurf, den man gegen die „Sissi“-Filme von Ernst Marischka erheben kann, ist der, dass sie die Karriere von Romy Schneider mehr zerstört als gefördert haben. Was man ihnen von heute aus vielleicht weniger verübeln sollte, ist ihre mangelnde historische Wahrhaftigkeit. Das Etikett des Eskapismus trugen die Filme damals mit Stolz. Das Interesse an realer Geschichtsschreibung war im Deutschland der 50er-Jahre der selbst verschuldeten Umstände wegen begrenzt.
Wenn die österreichische Regisseurin Marie Kreutzer nun in ihrem Sissi-Film „Corsage“ dem „süßen Mädel“ von einst eine schlecht gelaunte Nörglerin in den Wechseljahren entgegensetzt, glaubt man sich automatisch näher an den historischen Ereignissen. Aber genauso gut könnte es sein, dass man einer weiteren Illusion aufsitzt.
Eine Kaiserin in den Wechseljahren – geplagt vom Fitnesswahn
Vicky Krieps („Der seidene Faden“) spielt die erwachsene Kaiserin mit der säuerlichen Bitterkeit einer Frau, die ein Leben lang Diät halten musste und daraus einen eigenen Stolz ableitet. „Corsage“ zeigt gleich zu Anfang, wie sie sich täglich wiegen lässt und darauf besteht, dass ihr das Mieder besonders eng geschnürt wird. Sie treibt viel Sport und nimmt selbst in Gesellschaft kaum einen Bissen zu sich. Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn als ein frühes, prominentes Opfer von Anorexie und Fitnesswahn – das ist historisch belegt.
Mit anderen Fakten und Tatsachen verfährt Kreutzer dagegen absichtsvoll leichtsinnig. Trug Kaiser Franz (Florian Teichtmeister) seinen Backenbart tatsächlich als Anklebemodell? Und hätte er besser auf seine Frau hören sollen, die ihm nahelegt, sich über „Sarajevo“ Gedanken zu machen? Wer will, kann ein Spiel daraus entwickeln, all die Anachronismen zu finden, die Kreutzer einstreut, von verbalen Ausdrücken über technische Erfindungen wie Filmkamera und Telefon bis hin zu Gesten wie dem „Stinkefinger“. Nicht immer ist klar, ob hier überhaupt eine historische Realität beschworen werden soll oder nur ein ironisches „als ob“. Eins jedoch wird klar: Diese Kaiserin soll eine von uns sein, eine moderne Frau, eingeschnürt in ein Korsett von gestern.
Auch Kaiserinnen wurden sexistisch behandelt
Unter Angaben diverser Jahreszahlen (die Handlung spielt in den späteren 1870er-Jahren, nach ihrem 40. Geburtstag) gibt der Film verschiedene Einblicke in Elisabeths Leben, ihre Reisen durch Europa, ihre Routinen, das Ungemach des Repräsentieren-Müssens, ihr beständiges Unglücklichsein. Wenig überraschend erweist sich das Österreich-Ungarn von damals als nicht gerade frauenfreundliches Land, in dem selbst Kaiserinnen sexistisch behandelt werden.
Für ihre Protagonistin erfindet Kreutzer schließlich einen konsequent ahistorischen Ausweg; ihr Film aber ist ein Stück zu sehr in seinen eigenen Ansatz (nennen wir ihn „Sissi – Die Wechseljahre einer Kaiserin“) verliebt, um zu einem wirklich interessanten Schluss zu kommen.
Letztlich krankt auch Kreutzers Vision von Elisabeth als Opfer des Patriarchats daran, die Figur der Kaiserin zu überhöhen, nun nicht mehr als „süßes Mädel“, das alle bezirzt, sondern als Vorläuferin einer Emanzipation, die Frauen von diversen Rollenansprüchen befreien will.
„Corsage“ 114 Minuten, ab 12 Jahren, läuft im Abaton, Koralle, Passage, Zeise