Hamburg. Regisseur Anatol Preissler inszeniert den Tschechow-Klassiker „Onkel Wanja“ am Ernst Deutsch Theater als Komödie mit viel Musik.

Auch so kann Russland aussehen. Idyllisch, friedlich. In freundlichem hellen Holz steht hier ein durchlässiges Haus, gewährt dem Betrachter auf drei Ebenen direkte Einblicke. Schönes Bühnenbild (von Heiko Mönnich), schönes Landhaus - aber auch ein schönes, unbeschwertes Leben? Nun, nicht ganz. Wir sind schließlich in einem Stück von Anton Pawlowitsch Tschechow, bei „Onkel Wanja“, dem Meisterwerk des Dramatikers über Lethargie und unmögliche Liebe in der russischen Provinz.

Seit der emeritierte Literatur-Professor Alexandr mit seiner zweiten, 30 Jahre jüngeren Ehefrau Jelena aufs Land gekommen ist, herrscht hier Trägheit. Alexandr fällt allen mit sein eingebildeten Krankheiten auf die Nerven. Das betrifft auch Wanja, den Schwager aus erster Ehe, der das Gut des Professors mit dessen Tochter Sonja jahrelang verwaltet hat, um Alexandr das teure Stadtleben zu finanzieren.

Theaterkritik: Preissler setzte bereits „Bunbury“ um

1899 wurde „Onkel Wanja“ uraufgeführt. Dass das Stück bei aller Tragik immer auch Komödie ist, zeigt Anatol Preissler mit der ihm eigenen Handschrift am Ernst Deutsch Theater. Seine Inszenierung wurde bei der Premiere mit viel, wenn auch nicht ungeteiltem Beifall bedacht. Der weit gereiste Theater-Tausendsassa hatte an der Mundsburg bereits Oscar Wildes „Bunbury“ und den Kultkrimi „Adel verpflichtet“ erfolgreich umgesetzt, zu Beginn dieser Spielzeit dann die musikalische Komödie „Sechs Tanzstunden in sechs Wochen“.

Und in Preisslers mit seiner Ehefrau Ekaterina Bezghina, einer gebürtigen Ukrainerin aus Odessa, neu übersetzten „Onkel Wanja“ Fassung steckt ebenfalls erstaunlich viel Musik drin - ukrainische und russische Volkslieder etwa. David Berton spielt sie meist auf der E-Gitarre oder durchbricht die einschläfernde Stille mit Bluesakkorden. Er spielt auch den vormaligen Gutsbesitzer Ilja.

„Charkiw“ lässt aufhorchen

„Nach Charkiw fahren sie – dort wollen sie leben“, wird er später sagen, als der Professor und die begehrenswerte Jelena das Landgut fast Knall auf Fall wieder verlassen. „Charkiw“, das lässt einen aufhorchen, ist doch die bombardierte Millionenstadt im Nordosten der Ukraine gemeint, die Tschechow und die Russen Charkow nennen. Doch wer aktuelle Bezüge im Stück erwartet, sieht sich trotz anfänglichen Hubschraubern-Knatterns und elektronischer Klänge aus dem Off getäuscht.

Stattdessen arbeitet der für Pointen und eine einfühlsame Schauspielerführung bekannte Regisseur konsequent das Komödiantische heraus. Gönnt sich und dem Ensemble - typisch – die eine oder andere Slapstick-Einlage. Er überzeichnet die Charaktere mal mehr, mal weniger, ohne sie zu verraten oder Tschechow der Lächerlichkeit preiszugeben.

Boris Aljinovic (Ex-„Tatort“) nimmt man die Titelrolle ab

Gilt auch für die Titelrolle mit TV-Star Boris Aljinovic. Dem langjährigen Berliner „Tatort“-Kommissar nimmt man den Wanja ab. Als Mann von 47 Jahren ist er als Gutsverwalter geerdet, aber auch frustriert und gelähmt vom immergleichen Alltag, dabei meist ein bisschen zu laut im Umgang mit anderen und latent gewaltbereit. Als Wanja wütend zur Pistole greift und die anderen im Gänsemarsch vor sich hertreibt, schießt er nicht etwa auf den verhassten Alexandr, sondern zweimal in die Luft und flucht: „Mist, wieder daneben!“

Oliver Warsitz gibt den Professor souverän als alternden, egoistischen Hypochonder im feinen Zwirn, der mit seinem Plan, das Gut zu verkaufen, endgültig zum Feindobjekt absteigt. Die lustvolle Attacke seiner Gattin Jelena hat er da längst lustlos abgewehrt. Dagmar Bernhard spielt diese frustrierte „Sirene“ mit Sex-Appeal im luftigen Sommerkleidchen, aber auch körperlich komisch, wenn sie sich lasziv an einer Stange räkelt und musikalisch, indem sie am Piano überzeugt.

Theaterkritik: „Onkel Wanja“ erzählt von verpassten Chancen

Begehrt wird sie sowohl von Wanja als auch dessen Freund, dem Arzt Astrow. Mark Weigel wirkt in dieser Rolle schon ob des angeklebten Riesenschnurrbarts wie ein überheblicher Kauz. Und da der Arzt Astrow bis heute als einer der ersten Vertreter des ökologischen Gedankens in der Weltliteratur gilt, darf Weigel hier noch den 1980er-Jahre Öko-Popsong „Karl der Käfer“ zum Besten geben. Dem Arzt ist wie den weiteren, gut gespielten Figuren nicht einmal das Scheitern vergönnt - sei es Wanjas Nichte Sonja (Ines Nieri), Wanjas Mutter Maria (Angelika Bartsch) oder der Amme Marina, die Karime Vakilzadeh mit trockenen Einwürfen eine besonders komische (Rand-)Note verleiht.

„Onkel Wanja“ erzählt auch im Ernst Deutsch Theater von Resignation, verpassten Chancen und der Vergeblichkeit allen Tuns. Obwohl die zentrale Botschaft des Stücks, Nichtstun zerstört die Menschen und die Welt, bei aller Komik mit Blick auf die Gegenwart hier keine Rolle spielt. Stattdessen sang das Ensemble nach dem Premierenapplaus noch ein ukrainisches Volkslied, das Hoffnung spenden sollte und sammelte im Foyer Geld für „Hanseatic Help“.

„Onkel Wanja“ bis 30.4. und 9.-29.5., jew. 19.30, Ernst Deutsch Theater (U Mundsburg), Friedrich-Schütter-Pl. 1, Karten zu 24,- bis 44,-: T. 22 70 14 20, www.ernst-deutsch-theater.de.