Hamburg. Das Konzert in der Laeiszhalle unter Sylvain Cambreling war lange geplant. Doch es ließ viele an das aktuelle Leid in der Ukraine denken.

Unter welchen schockierenden Eindrücken der Gegenwart mussten wir am Sonntagabend Gustav Mahlers „Das Lied von der Erde“ mit den Symphonikern Hamburg unter ihrem Chefdirigenten Sylvain Cambreling nur hören? Vom Jammer der Erde, einem Einsamen im Herbst und einem Abschied vom Leben im Finale dieses Vokalzyklus sangen der Bariton Michael Volle und der Tenor Michal König hier.

Und obwohl Mahlers bewegende Vertonung altchinesischer Gedichte in diesem Spätwerk aus dem Jahr 1908 auch vor dem Hintergrund seines persönlichen Schicksals und der Ahnung seines nahenden Endes gedeutet werden müssen, dachten wohl viele dabei auch an das Leid der ukrainischen Bevölkerung und die Grauen eines verheerenden Krieges.

„Dunkel ist das Leben“ heißt es im ersten Lied, und wir erfahren wieder einmal, wie der Wahn eines Aggressors, der jedes Maß und jeden Anstand verloren hat, die Menschheit rücksichtslos ins Unglück stürzen kann. Aber das Licht muss zurückkehren, ein aufgehendes Licht, wie es Joseph Haydn ein gutes Jahrhundert vor Mahler zu Beginn seines Oratoriums „Die Schöpfung“ einmal in Klang verwandelt hat.

Konzert der Symphoniker Hamburg wird zu emotionalem Aufruf

Das Symphoniker-Konzert war lange vor den aktuellen Ereignissen geplant. Doch sein Programm mit Haydns „Chaos“ aus dem Schöpfungs-Oratorium zu Beginn, das gleich zweimal vor und nach dem Werk „Déserts“ für 14 Bläser, Klavier, fünf Schlagzeuger und Tonband von Edgar Varèse im ersten Teil erklang, und Mahlers aufwühlenden Liedern am Ende wurde plötzlich zu einem emotionalen Aufruf. „Einer Mahnung“, wie der Symphoniker-Intendant Daniel Kühnel in einer kurzen Ansprache sagte, „die Welt und uns Menschen gut vor uns selbst zu bewahren.“

Wie Haydn in den ersten Takten seines „Chaos“ das ungeordnete Nichts mit einem ausgehaltenen düster-ernsten Ton musikalisch nachzeichnet, ist einzigartig. Und die Dissonanzen, die Haydn zur Überraschung seiner Zeitgenossen Ende des 18. Jahrhunderts dafür verwendet hat, sind bereits Stilmittel der Moderne. Ohne Pause ließ Sylvain Cambreling diese Musik in Varèses musikalische Beschreibung einer Wüste übergehen, einem Werk, das zu Beginn des Kalten Krieges geschrieben worden war und als erstes Orchesterwerk mit zugespielter Elektronik gilt.

Symphoniker Hamburg laufen zu Hochform auf

Die Bewegungsimpulse in diesem Stück wechseln wie aufflackernde Flammen, zum Teil hart und scharf, obwohl es auch viele Töne gibt, die gleich nach ihrem Erklingen beinah scheu wieder zurückgenommen werden. Ein Rauschen und Grollen, ein Sirren und Summen, als stamme all das aus einer Werkshalle, unterbricht in den elektronischen Zuspielungen die instrumentalen Teile.

War man schon hier von der Brillanz und Präzision der Symphoniker unter Cambrelings sicherer Regie begeistert, so geriet das Orchester beim „Lied von der Erde“ erst recht in Hochform.

Schon im „Trinklied“ mit dem fantastisch gegen das Riesenorchester sich behauptenden Michael König oder dem Ruhe und Geborgenheit ausstrahlenden Lied „Von der Schönheit“ mit Michael Volle zeigte das Orchester seine ganzen Qualitäten. Wundervoll schlicht und sicher auch in der oft so empfindlich hohen Lage sang Volle im „Abschied“ von der Schönheit und dem ewigen „Lieben“ einer lebenstrunkenen Welt.