Lübeck. Am Theater Lübeck wird eine Milieustudie aus dem Leben auf und um die Werften zum Theaterstück – samt absolutem Gänsehautsong.
Am Schluss, wenn das letzte Schiff in See gestochen ist, keimt doch noch so etwas wie Hoffnung auf. Die Arbeitersolidarität hat gesiegt. Die Polizeierstürmung ist abgewendet und der windige Werftbesitzer diskreditiert. Und das ist noch nicht einmal ein klassischer Märchenstoff, wie sich Musicals ja gerne ihrer bedienen. Das ist fast schon eine Milieustudie. Beinharter Sozialrealismus. Einer, der unter die Haut geht. Und natürlich erklingt im hymnischen Chorgesang ein absoluter Gänsehautsong: „The Last Ship“ von Sting.
Der britische Pop-Star hat auch Musik und Liedtexte des gleichnamigen Musicals verfasst. In seiner Inszenierung am Theater Lübeck zieht Regisseur und Neu-Intendant Malte C. Lachmann klug Parallelen zum Werft-Geschehen in und um die Hansestadt. Lachmann, Jahrgang 1989, ist in Hamburg kein Unbekannter. 2012 erhielt er für seine Inszenierung „Schwarze Jungfrauen“ den Jurypreis des Körber Studios Junge Regie am Thalia in der Gaußstraße und inszenierte ebenda 2013 „Die Protokolle von Toulouse“, mit denen er zum Radikal Jung Festival nach München eingeladen wurde.
Theaterkritik: Zwei weitere Hamburger an Bord von "The Last Ship"
Schon immer fühlte er sich als Regisseur im Sprechtheater genauso zu Hause wie im Musiktheater. Das zeigt sich auch in seiner Inszenierung von „The Last Ship“, in der im übrigen zwei weitere Hamburger auf der Bühne stehen – wenn auch nur in Nebenrollen. Stephan Schad ist leider etwas unterbeschäftigt als Joe Fletcher, Vater der Hauptfigur Gideon Fletcher. Eine Vater-Sohn-Szene, in der er durch eine enge Werkswohnung humpelt, mehr ist nicht drin. Katharina Abt wiederum darf blond perückt als zupackende Tresenkraft Mrs. Dees im örtlichen Pub immerhin ihre Gesangs- und Tanzkünste vorführen.
Aber zurück zum Anfang. Das Original-Buch von John Logan und Brian Yorkey hat Lorne Campbell noch einmal erneuert, hier kommt es in einer gelungenen Übersetzung von Wolfgang Adenberg zur Aufführung.
"Keine Arbeit, kein Geld" – Gideon Fletchers Rückkehr von einer Odyssee
Grobkörnige Schwarz-Weiß-Bilder lässt Lachmann eingangs über eine bühnenhohe Containerwand flimmern. „Keine Arbeit, kein Geld“, sagt darin ein junger, als Tagelöhner angeheuerter Werftarbeiter mit leerem Blick. Auf der Bühne beschwört dann die junge Ellen Dawson (Lilly Gropper) die mit Sehnsüchten und Träumen angefüllte Heimat, die identitätsstiftende Werftstadt, „ein Ort, an dem man sich niederlässt und auf den man sich einlässt. An dem man vorankommt oder davonläuft.“
Davongelaufen war vor 17 Jahren ihr Vater Gideon Fletcher, nicht wissend, dass er mit seiner damaligen Liebe Meg Dawson (Vasiliki Roussi) auch eine noch ungeborene Tochter, eben Ellen, zurückließ. Nun kehrt er nach einer Irrfahrt vom Ausmaß der Odyssee zurück und wird nicht nur mit der kaum verjährten Wut seiner ehemals großen Liebe, sondern auch mit deren brachialem Überlebenswillen konfrontiert.
Die Heimat von Sting als Schauplatz von "The Last Ship"
Nur mehr in der Erinnerung wird in Tanzszenen das junge, einstige Paar-Glück, verkörpert von Tina Haas und Heiner Kock, wieder lebendig. Alleinerziehend und auf sich gestellt, hat sich Meg mit einem Pub eine eigene Existenz aufgebaut. Auf der Bühne ist die Rückseite eines gewaltigen schwarzen Schiffes zu erkennen, in deren unterer Etage ein kleiner, etwas klaustrophobisch verbauter Raum mal als Bar, mal als Werftwohnung herausfährt (Bühne: Ramona Rauchbach). So schwarz wie die Ansicht, ist auch die Stimmung im nordenglischen Wallsend. Werftbesitzer Mr. Newlands sucht eine Lösung für die hier liegende, halbfertige „Utopia“, die nun vom pleite gegangenen Konsortium nicht mehr gewollt wird. Parallelen zu Wismar auch zur 2003 geschlossenen Flender Werft, drängen sich auf.
In Wallsend aber wuchs der Musiker Gordon Sumner auf, weltweit bekannt als Sting. Und auch sein Großvater war Schiffbauer. Und so wie er einst nach London ging, um den Verheißungen des Rock'n'Roll zu folgen, will auch Ellen mit ihrer Band in die große Stadt durchbrennen. Das von Globalisierung und Kapitalismus zerrüttete Provinzleben hinter sich lassen.
"The Last Ship": Ein wenig kitschig, aber doch glaubhaft
Der Abend ist mit drei Stunden durchaus lang. Aber die Handlung reißt mit hohem Tempo und klugen Dialogen mit. Und auch die mit schönen Fiddle-Melodien arrangierten Seemanns-Lieder – die auf Englisch deutlich besser klingen als auf Deutsch - tragen ihn gut. Die Gesangsleistungen des Ensembles sind zum Teil beachtlich, vor allem Vasiliki Roussi als kämpferische Meg Dawson ragt heraus. Außerdem Andreas Hutzel als Jackie White, Vormann der Werftarbeiter.
Der mit sanftem Timbre aufsingende Johannes Merz hat als Gideon Fletcher zunächst keine Glanzrolle, darf sich aber später beim Kampf der Arbeiter um die Werft auf den Barrikaden bewähren. Und wenn dann die Frauen das Ruder übernehmen und „Show Some Respect“ singen, glüht und brennt die Utopie von Zusammenhalt, Solidarität und Selbstermächtigung gegen noch so widrige Umstände zwar mit viel Pathos durchaus ein wenig kitschig, aber doch glaubhaft auf.
Die Realität gibt der Geschichte Recht. Weltweit haben Arbeiter ihre pleite gegangenen Werften in die eigene Hand genommen mit zum Teil beachtlichen Erfolgen.
„The Last Ship“ weitere Vorstellungen 6.3., 16 Uhr, 12.3., 19.3., 27.3., 9.4., 14.4., 22.4., jew. 19.30 Uhr , Theater Lübeck, Beckergrube 16, Karten unter T. 0451/39 96 00; www.theaterluebeck.de