Hamburg. “Alles nur aus Zuckersand“ erzählt am Jungen Schauspielhaus feinsinnig die Geschichte einer ostdeutschen Freundschaft.

Wenn man ganz nach oben klettert, kann man bis über die Grenze sehen. Und wenn man ganz nach unten buddelt, kommt man vielleicht irgendwann in Australien raus. Australien ist das Sehnsuchtsziel von Fred (Severin Mauchle) und Jonas (Nico-Alexander Wilhelm), seit der Nachbar Fred einen Bumerang geschenkt hat.

Dabei ist schon das Gelände hinter der alten Ziegelei für die Jungen unerreichbar – dort liegt Westdeutschland. Sie aber leben in der DDR. Und die vom Ensemble spielfreudig genutzten Klettergerüste auf Anna Brandstätters Bühne am Jungen Schauspielhaus erinnern nicht nur an die Sprossenleitern einer Turnhalle, sondern auch an eine stets präsente Vergitterung. Hier soll keiner raus.

Bis Jonas und seine freigeistige Mutter eben doch gehen. Ein Bumerang kommt zurück – ein Ausgereister niemals.

Feinsinniger Einblick in andere Zeiten: „Du spielst mit dem Klassenfeind!“

Die Regisseurin Franziska Stuhr erzählt in Dirk Kummers „Alles nur aus Zuckersand“ mit Temperament und Sensibilität eine ostdeutsche Coming-of-Age-Geschichte der späten 1970er-Jahre. Vom Aufwachsen in einem Staat, der sein Fundament mit Waffengewalt aufrecht erhalten muss. Vom verordneten und erschütterten Glauben an den Sozialismus, von Staatstreue und Freiheitswünschen, die Schulklassen und Familien trennen und von einer Freundschaft, die trotzdem mindestens so tief geht wie ein Tunnel zu den Aborigines. Auch wenn das nicht jedem passt: „Du spielst mit dem Klassenfeind!“ wettert Freds Vati. „Ernst der Name, heiter die Stimmung“, aber als Zollbeamter voll auf Parteilinie.

Für die Zielgruppe ab zehn Jahren ist Stuhrs Inszenierung ein feinsinniger, melancholischer und trotzdem mit Leichtigkeit erzählter Einblick in eine Zeit und ein Deutschland, das die Kinder im Publikum zwar nicht mehr selbst erlebt haben, aber kennen sollten, um auch die Gegenwart zu begreifen.

Echte Nähe ist nicht auf Zuckersand gebaut

Toll gespielt ist es sowieso: Neben Mauchle und Wilhelm als überschwängliche beste Freunde macht Alicja Rosinski, die wie alle anderen mehrere Rollen übernimmt, vor allem als kaderkonforme Musterschülerin Spaß. Christine Ochsenhofer ist nicht nur Mutti Ernst, sondern auch auch einschüchternde Sport-Genossin, Hermann Book freut sich als Vati über „Ein Kessel Buntes“ und sortiert an der Potsdamer Sportschule den sozialistischen Olympianachwuchs.

Und Jan Paul Werge, als Herr Marek eine Art liebevoll-nachbarschaftliches Philosophie-Faktotum, sorgt außerdem für die sanfte Live-Musik. Und am Ende für die Zuversicht, dass West-Berlin so entfernt sein mag wie Australien – echte Nähe aber nicht auf Zuckersand gebaut ist.

„Alles nur aus Zuckersand“, Junges Schauspielhaus, Wiesendamm 28, Schulvorstellungen im Januar und Februar, nächste Nachmittagsvorstellung am 19.2. z.Zt. ausverkauft, neue Termine unter www.schauspielhaus.de