Hamburg. Susanne Reifenrath spürt der eigenen Biografie nach. Es geht um die väterliche Pornosammlung und kaputte Familienverhältnisse.
Es gebe keinen größeren Vorwurf, den man einem Mann machen könne, als den, ein schlechter Vater zu sein, meint Susanne Reifenrath. Manche Väter vermeiden diesen Vorwurf, indem sie sich bemühen, eben gute Väter zu sein. Und andere manipulieren ihre Kinder, damit die diesen Vorwurf erst gar nicht formulieren.
Wenn man Reifenrath glauben kann, dann zählte ihr eigener Vater Joachim Wolfgang Reifenrath zur zweiten Spezies: jugendlicher Nazi, gefeierter Nachkriegsjournalist, Schriftsteller, Lebemann. Gnadenlos promiskuitiver Frauenverbraucher und traditionelles Familienoberhaupt, Vater von mindestens 14 Kindern mit mindestens drei Frauen. Vergewaltiger. Ein schlechter Vater.
Manipulierter Sex am Lichthof Theater – und kaputte Verhältnisse
Reifenraths im Lichthof Theater uraufgeführter Monolog „Der manipulierte Sex“, benannt nach einem Buch des Vaters, ist im Grunde eine Dämonenaustreibung. Aufgeteilt nach dem Buch entnommenen Kapiteln durchstreift die Regisseurin und Performerin ihre Biografie: die Faszination für die väterliche Pornosammlung. Die Scham darüber, dass der Vater den Großteil seines verhältnismäßig hohen Einkommens ins Bordell trug und für die Familie nur Junk Food blieb.
Die Hilflosigkeit gegenüber der Tatsache, dass die Mutter unter der gewalttätigen Beziehung litt. Als der Vater 1999 starb, hätten alle Kinder das Erbe ausgeschlagen, erzählt Reifenrath, auf dem Friedhof habe ausschließlich ein schlichtes Holzkreuz gestanden, weil sich niemand um einen Grabstein kümmern wollte. Kaputter gehen Familienverhältnisse kaum.
„Der manipulierte Sex“ brilliert durch berührender Ehrlichkeit
Wie Reifenrath diese kaputten Verhältnisse auf der Bühne offenlegt, ist von berührender Ehrlichkeit, mit anrührender Publikumsansprache, mit Videoeinspielungen, mit Schlenkern ins Absurde, in fetischisierte Sexualität und Schattentheater. Dabei gelingen ihr immer wieder beeindruckende Bilder: In einer zentralen Szene wuchtet sie Dutzende Exemplare von „Der manipulierte Sex“ auf die Bühne und stopft sie nach und nach in ihren hautengen Dress, so dass sich die Bücher irgendwann wie Geschwüre auf ihrem Körper abzeichnen. Stark.
Dabei bleibt der Abend ziellos, eher ein Suchen als eine echte Abrechnung mit dem Vater. Nicht einmal zu einer wirklichen Verdammung kann sich Reifenrath durchringen – tatsächlich mochte sie ihren Vater, trotz seiner Verfehlungen.
Lichthof Theater – mehr therapeutische als künstlerischen Aktion
Man muss sich allerdings einlassen auf dieses Maß an Privatheit, das einem hier von der Bühne entgegen strömt, inklusive intimer Details aus dem eigenen Leben, inklusive Fotos der eigenen Tochter am Grab des Opas. Indem sie sich so radikal selbst öffnet, macht Reifenrath „Der manipulierte Sex“ mehr zu einer therapeutischen als zu einer künstlerischen Aktion, und es ist gut, dass sie sich für die einzelnen Kapitel Co-Künstler gesucht hat, die für die nötige Distanz sorgen, darunter Dor Aloni, Nina Mattenklotz und Marc von Henning.
Denn am Ende ist der Abend eben doch: Theater. Ein Theater, das in einem Rückgriff aufs Superheldinnengenre zur Selbstermächtigungsphantasie wird: Reifenrath imaginiert sich als „Super-Susi“, die es schafft, mit einem „Swoosh!“ den Brechreiz angesichts der üblen Realität zu unterdrücken. Und wenn sie an den Vater denkt, dann braucht sie diese Superkraft ziemlich oft.
Der manipulierte Sex wieder am 7. und 8.1., 20.15 Uhr, Lichthof Theater, Mendelssohnstraße 15, Tickets über www.lichthof-theater.de