Hamburg. Klaus Schumacher inszeniert das sozialrealistische Kinderstück „Wutschweiger“ am Jungen Schauspielhaus.
Die Eltern streiten. „Normalerweise zieht man um, wenn man etwas Besseres gefunden hat!“, ruft Mutter Vandewalle ihrem Mann vor, aber die Familie hat nichts Besseres gefunden, sie ist mitten im sozialen Abstieg. Der Umzug: aus dem Einfamilienhaus in den Wohnblock. „Alles wurde kleiner“, bemerkt Sohn Ebeneser (Severin Mauchle), der Sessel, die Colaflasche, die Tube Mayonnaise, irgendwann schrumpfen auch die Eltern, und spätestens in dieser träumerischen Szene erkennt man, dass vor allem Träume kleiner werden. Familie Vandewalle hat nichts mehr zu erwarten. Oder?
Das belgische Kinderstück „Wutschweiger“ von Jan Sobrie und Raven Ruëll ist nackter Sozialrealismus: Eine Familie verliert den Halt unter den Füßen, und der Sohn muss irgendwie damit klar kommen. Auf dem Tisch sammeln sich die Mahnungen, geordnet nach Wichtigkeit – Miete, Strom, Licht, die feuchte Stelle an der Küchenwand, und ganz unten liegt die Rechnung für Ebenesers Teilnahme an der schulischen Skiwoche. 593 Euro. Das kann er natürlich vergessen, wenn schon der Strom abbestellt wird. Dass diese Geschichte nicht ohne Hoffnung ist, liegt daran, dass Ebeneser eine Verbündete findet: Sammy (Jara Bihler), der es womöglich noch schlechter geht, die aber ihr Schicksal mit ununterbrochenem Geplapper halbwegs unter Kontrolle hat.
„Wutschweiger“: Auf ein Ende verzichtet Schumacher
Klaus Schumacher konzentriert sich in seiner ab acht Jahren empfohlenen „Wutschweiger“-Inszenierung am Jungen Schauspielhaus ausschließlich auf die Beziehung zwischen Ebeneser und Sammy, und weil Mauchle und Bihler ihre Figuren von der ersten Minute an verinnerlicht haben, funktioniert dieser spartanische Zugriff. Eine Bühne im eigentlichen Sinne gibt es nicht, gespielt wird innerhalb eines Stuhlkreises im Theaterfoyer, und wenn der Schauplatz wechselt, dann skizzieren die Darsteller kurz, wo sie sich gerade befinden: am Strand, im Klassenzimmer.
Das Stück ist nicht naiv, als perfekt wird die Freundschaft der zwei Jugendlichen nicht gezeichnet. Wenn sich Ebeneser und Sammy gegen die soziale Ausgrenzung wehren und verstummen, zu „Wutschweigern“ werden, erweist sich diese Rebellion als nur halberfolgreich. Und dass Sammy womöglich Probleme haben könnte, die sich nicht so einfach mit Zuneigung lösen ließen, wird ebenfalls kurz angedeutet. Aber weil die beiden Darsteller so nah an ihren Figuren bleiben, und weil die Inszenierung in ihrer Zurückhaltung das Stück ernst nimmt, akzeptiert man diese Wermutstropfen. Keine Ahnung, ob es gut geht, aber dass es schlecht geht, wenn man nicht ein bisschen hofft, das ist eindeutig.
Auf eine Auflösung, überhaupt auf ein Ende verzichtet Schumacher dann folgerichtig. Mauchle und Bihler gehen einfach ab, Arm in Arm. Da haben sich zwei gefunden, um miteinander eine schwierige Situation durchzustehen, 60 Minuten lang durften wir sie begleiten, und jetzt gehen sie alleine weiter. Wir wünschen ihnen Glück.
Wutschweiger wieder am 23. und 24. November, 10. und 17. Dezember, 10 Uhr 30, Foyer Junges Schauspielhaus, Wiesendamm 28, Tickets unter 248713, www.schauspielhaus.de