Hamburg. Zuvor gab es Missstimmungen, aber der Start des Krimifestivals auf Kampnagel glückte. Das lag auch an einem Franzosen, der keiner ist.

Es waren dramatisch zu nennende Töne, mit denen die 14. Ausgabe des Hamburger Krimifestivals eröffnet wurden. Ins Klavier gehämmert und gestreichelt von Joja Wendt, der gut gelaunten Allzweckwaffe des Pianogeschäfts. Wendt („Heute speziell für diesen Abend: die Krimiversion“) spielte Rachmaninow, und das war dann auch die Kunst der Unterhaltung: Man war sofort drin im Abend, der ja der Spannungsliteratur gewidmet sein sollte – mit musikalischer Begleitung.

Und nicht der Debatte um angeblichen Rassismus, Cancel Culture, eine verarmende Streitkultur und den schreibenden Rechtsmediziner Klaus Püschel. Da hatte es im Vorfeld durchaus auch dramatische Töne gegeben. Püschel wird am Donnerstag auf Kampnagel auftreten.

Was im Zweifel eine gute Nachricht ist. Noch besser war aber, dass Missstimmung gar nicht erst aufkommen wollte beim Start der im vergangenen Jahr ausgefallenen Veranstaltung. 700 Menschen waren endlich wieder, und das weitgehend ohne Maske, zum gediegen-kultivierten Beisammensein erschienen. Kann man sich da, neben Pianomann Wendt, eine optimalere Besetzung für vollkommenes Unbeschwertsein selbst in der Welt der Morde und Leichen vorstellen als Jörg Bong?

Krimifestival Hamburg beginnt mit Kommissar Dubin

Das ist der hemdsärmelig wirkende mittelalte Mann, der über Jahre eine Größe im Verlagsgeschäft als Chef von S. Fischer war und dann eine zweite, noch erfolgreichere Karriere hinlegte, als er die Idee hatte, unter dem Pseudonym Jean-Luc Bannalec Krimis zu veröffentlichen. Der zehnte Fall seines Kommissar Dupin trägt den Titel „Bretonische Idylle“ und spielt wie alle Fälle vorher im äußersten Westen Frankreichs. Wobei die Dupinbücher nicht unbedingt einmalige, aber eben doch Sonderfälle der Krimigattung sind: Man kann zwischendurch schon mal vergessen, dass es hier um Thrill geht. Manchmal wähnt man sich auch in einer Restaurantkarte oder einem Reiseführer.

Autor Jean-Luc Bannalec eröffnet auf Kampnagel das Krimifestival Hamburg 2021. Begleitet wurde er von Pianist Joja Wendt am Flügel.
Begleitet wurde der Autor bei der Eröffnung des Krimifestivals Hamburg von Pianist Joja Wendt am Flügel. © Funke Foto Services | Marcelo Hernandez

Als Regionalkrimi sollen Bannalecs Bücher Fernweh wecken, und weil das Reisen in diesen pandemischen Zeiten noch immer eine etwas weniger frequentierte Unternehmung ist als sonst, lauschten die Leute ziemlich gebannt dem Vortragenden. Es ging an diesem fluffig dahinschnurrenden Abend bisweilen zu wie beim Dia-Abend in der Volkshochschule. Nur halt ohne Dias, dafür aber mit Lesung. Die übernahm der Schauspieler Stephan Benson, der mit staunenswert sonorer Lesestimme Dupins neue Ermittlungen zu Gehör brachte.

Wer da jetzt genau hingemeuchelt wurde, war dabei nicht wichtig. Im Gegenteil, dafür muss man ja gar nicht zu einer Veranstaltung wie dieser gehen: Spoiler sind eh nicht erlaubt. Das Publikum delektierte sich lieber mit unverhohlener Freude an Bannalecs Schwärmereien und den Reiseberichten des Autors.

Land und Leute, bretonische Eigenheiten, Kulinarik, die Lust der Einheimischen an Redewendungen und Schilderungen über gemeinsam verbrachte Tage mit allzu anhänglichen Schweinen (Bannalec: „Ich hatte in der Bretagne eine Fülle von Begegnungen mit wunderlichen Tieren“): Der gebürtige Rheinländer stellte sich einmal mehr als inoffizieller Gesandter des Tourismusmarketings heraus.

Krimifestival: Völkerverständigung mit Jean-Luc Bannalec

Die Geschichte ist fantastisch. Die Bannalec-Krimis und auch die Verfilmungen („Mit denen habe ich nichts zu tun, jede Form des Eingriffs von Autorenseite kann nur schiefgehen“) erfreuen sich auch in Frankreich großer Beliebtheit. Schon auch eine Form der Völkerverständigung. Auf Kampnagel erzählte Bannalec, dass er, der bis dato in Deutschland nur ganz selten auftrat, in der Bretagne regelmäßig seine Bücher vorstellt. Und dann kämen vor allem 60- und 70-jährige Damen, die seinen Büchern dann attestieren, das Leben in ihrer Heimat getreulich abzubilden, „das rührt mich dann immer sehr“.

Autor Jean-Luc Bannalec eröffnet auf Kampnagel das Krimifestival Hamburg 2021 – vor großem Publikum.
Autor Jean-Luc Bannalec eröffnet auf Kampnagel das Krimifestival Hamburg 2021 – vor großem Publikum. © Funke Foto Services | Marcelo Hernandez

Und so ist der Mann, der Jörg Bong war, aber im Angesicht der Herrlichkeiten der Bretagne zu Jean-Luc Bannalec wurde, vor allem auch ein Paradebeispiel des Reisenden, der eine Wahlheimat fern des eigentlichen Zuhauses fand. Die Bretagne wurde in seinen Schilderungen zur Wunderwelt aus Licht und Farben, und als Stephan Benson zwischendurch die Romanstelle las, die überaus ausführlich von einem Restaurantbesuch handelt, konnte man abschließend feststellen: Das Konzept „Leben wie Gott in Frankreich“ gibt es wirklich. Bis dann halt, wie es in Krimis nun mal so ist, der Tod seinen Auftritt hat.

Am Ende eines meist kurzweiligen Abends verließen auch diejenigen Kampnagel zufrieden, die den Veranstaltern die halbstündige Verspätung krumm nahmen, mit der das Krimifestival begonnen hatte. Für das Warten in einer langen Schlange wegen der Vorlage von Personalausweis und Impfnachweis wurde das Publikum schließlich mit der puren Eigenwilligkeit eines Programms belohnt, in dem seltsamerweise doch alles zusammenpasste: der von einer Urlaubsregion nachhaltig betörte Bestsellerautor und der heimliche Hardrocker am Flügel. Als Rausschmeißer spielte Joja Wendt „Thunderstruck“ von ACDC.