Hamburg. Mathias Spaan inszeniert das Jugendstück „Hitze“ am Jungen Schauspielhaus stückdienlich, gut besetzt und mit Sinn für Details.

Hitzewelle im Südwesten Frankreichs. Der Campingplatz an der Atlantikküste stöhnt unter Temperaturen von bis zu 40 Grad, aber als Jugendlicher lässt man sich die Sommerferien nicht vom Wetter vermiesen. Man feiert. Man tanzt. Man schwimmt. Und vor allem hat man Sex. Eigentlich ist das gesamte Feiern ausschließlich ein ausuferndes Vorspiel. Und der 17-jährige Léonard steht zwischen den Tanzenden und kann nichts mit diesem Vorspiel anfangen.

Victor Jestins Roman „La Chaleur“, auf Deutsch „Die Hitze“, beschreibt eine sexuell befreite Welt, die diejenigen unter den Tisch fallen lässt, die von dieser Freiheit vollkommen überfordert sind. Léonard, ein sensibler Junge, der nach dem Abitur Musik studieren will und abgestoßen ist vom billigen Techno, der tagaus, tagein über das Camping­gelände schallt. Sein Freund Louis, der sich zunehmend verzweifelt auf die Flirtkonventionen einlässt, sich dabei aber als Verlierer wiederfindet und immer sprunghafter zwischen Unsicherheit und Prahlerei irrlichtert.

Theaterkritik: „Hitze“ für Publikum ab 14 Jahren geeignet

„Ich schwör’ dir, wenn ich heute abend nicht ficke, dann ertränke ich mich!“, ruft er an einer Stelle frustriert aus, und spätestens hier erkennt man, dass diese Ferien nicht wirklich etwas mit Spaß zu tun haben. Sowie wahrscheinlich auch Oscar, der zu Beginn der Handlung ums Leben kommt, vielleicht durch einen Unfall, vielleicht durch Suizid, letztlich geklärt wird das nicht. Nur dass Oscars Tod ein Trauma bei Léonard auslöst, das ist eindeutig.

Mathias Spaan hat „Hitze“ für das Junge Schauspielhaus dramatisiert und die (für ein Publikum ab 14 Jahren geeignete) Uraufführung stückdienlich in der Studiobühne inszeniert. Stückdienlich, das heißt hier: unspektakulär, konzentriert auf Léonard, den Severin Mauchle mit intensiver Verstörung spielt. Alle übrigen Rollen werden unabhängig von Alter und Kostümen (Josephin Thomas, die die Protagonisten klimagerecht viel Haut zeigen lässt) von zwei Schauspielern gespielt: von Nico-Alexander Wilhelm, der Louis und diverse Väter körperlich so unmittelbar wie übergriffig anlegt, und von Alicja Rosinski, die die beiden Mädchen Luce und Zoé sowie Léonards Mutter mit patenter Sinnlichkeit und freundlichem Humor gibt.

„Hitze“ ist eine Coming-of-Age-Geschichte

Anna Armann hat als Bühne einen Sandkasten gebaut, der unbeschwerte Strandfreuden verspricht und tatsächlich vor allem staubiges Gefängnis ist. Wenn die Figuren den Kasten verlassen, dann verlassen sie auch das Stück, dann wenden sie sich ans Publikum, oder sie sind einfach aus der Szene draußen – ein geschickter Kniff, der die Protagonisten ausblendet, obwohl sie weiter präsent auf der Bühne bleiben. Auch wenn alle davon reden, dass sie mal für ein paar Stunden alleine sein (sprich: Sex haben) wollen – privat ist hier nichts.

Im Grunde ist „Hitze“ eine dramatisch mit dem Todesmotiv verschärfte Coming-of-Age-Geschichte: Junge Menschen bekommen ein Angebot, wie sie ihren Alltag gestalten wollen, aber was ist, wenn sie dieses Angebot nicht annehmen können oder wollen? „Ich war im System!“, stellt Léonard ernüchtert fest, als Luce ihn küsst, und das heißt eben auch, dass man nichts in dieser Welt zwischen Sonnencreme und Kondomautomaten verloren hat, wenn man nicht ins System passt. Und das, obwohl Luce es einem leicht macht.

Léonard versucht es mit Anpassung

Einmal noch versucht Léonard, sich an das System anzupassen, hofft auf ein Wiedersehen im nächsten Sommer-Urlaub, aber das Mädchen hat verstanden, dass das nichts für ihn ist. „Die Ferien sind einfach nicht dasselbe wie der Rest des Jahres“, und was wie eine Abfuhr klingt, ist für jemanden, der die Ferien verabscheut, in Wahrheit eine Verheißung.

Das ist so freundlich, so hoffnungsfroh und nicht zuletzt so echt von Mauchle und Rosinski gespielt, man würde es Léonard und Luce gönnen, dass sie das zwischen sich irgendwie hinbekommen.

Theaterkritik: Inszenierung szenisch unspektakulär

So szenisch unspektakulär die Inszenierung ist, alles hier ist genau erarbeitet: Wie Léonard sich zu Beginn immer tiefer in einen Sandhaufen hineindreht, eine Sandspirale als Entsprechung von seiner gequälten Seele. Wie Louis seinen Arm kumpelnd um Luces Schulter legt, und wie sie ihn beiläufig abschüttelt: Das sind echte, junge Menschen. Menschen, mit denen man mitfühlt.

Aber es hilft nichts: Die Belastung durch Oscars Tod und die womöglich gar nicht gerechtfertigten Schuldgefühle Léonards sind zu groß, am Ende steht Ernüchterung. Luce wird zum Studium nach Bordeaux gehen, Léonard wird sich mit seiner Schuld auseinandersetzen, Louis bleibt ungeküsst. Und alle anderen? Machen so weiter, wie es von ihnen erwartet wird. Sie feiern, sie tanzen, sie schwimmen, sie haben Sex.

„Hitze“ wieder am 4., 5., 6. und 8. November, jew. 19 Uhr, Studio Junges Schauspielhaus, Wiesendamm 28, Tickets unter T. 248713, www.schauspielhaus.de