Schräg, absurd, großartig: Andersons „The French Dispatch“ ist eine Hommage an die Printmedien – und an ein Frankreich, das es nie gab.
Man müsste einmal den Versuch unternehmen, einen Wes-Anderson-Film in einem Kino zu zeigen, ohne dass das Publikum weiß, was kommt. Nur um zu sehen, wie lange es dauert, bis die Zuschauer es erraten. Die vor Fantasie und liebevollen Details schier berstenden Bilder, die betont künstlichen Kulissen, der ironisch hüpfende Erzählduktus, das weitschweifige Personal, das von einem bis in kleinste Rollen hinein verschwenderischem Star-Ensemble gespielt wird. Spätestens wenn Bill Murray in einer Schlüsselrolle auftaucht, dürfte auch dem Letzten ein Licht aufgehen.
Anderson hat eine ganz eigene Signatur, ist ein Akteur des Schrägen, Absurden. Und ist in dieser Einzigartig- und Unvergleichlichkeit höchstens zu vergleichen mit einem Federico Fellini oder einem Jacques Tati. „Durchgeknallt“ hieß sein erster Film. Und durchgeknallt sind sie eigentlich alle.
Der Regisseur sieht mit seinen 52 Jahren immer noch recht kindlich aus. Und so sehen auch seine Filme aus: Die Kulissen sind wie Puppenhäuser, die Szenen wie Spiele eines Mannes, der das Kind in sich bewahrt hat. Der immer noch staunt und uns alle wieder zu Kindern macht.
„The French Dispatch“ ist voller Miniatur-Universen
Dafür baut der Meister des Absurden immer wieder ganze Miniatur-Universen. Mal ist es ein Grand Hotel, mal eine Pfadfinderinsel. „The French Dispatch“ ist nun eine Hommage an den Printjournalismus. Und an ein nostalgisches Frankreich, das es so nie gab. Der titelgebende „French Dispatch“ ist die fiktive französische Magazin-Beilage der ebenfalls fiktiven US-Zeitung „Liberty, Kansas Evening Sun“, angesiedelt in einem, na klar, fiktiven Städtchen namens Ennui-sur-Blasé, dessen Name das Nachschlagen im Wörterbuch lohnt.
Hier hat der knarzige Verleger Arthur Howitzer Jr. (Murray) sein Magazin begründet, hier leitet er es mit strenger und doch milder Hand. „Nicht weinen“, befiehlt ein Schild in seinem Büro. Aber er lässt seinen Journalisten alles durchgehen. Auch wenn die Texte vom Thema abkommen. Oder wenn sie viel zu lang geraten. Werden eben lästige Anzeigen wieder rausgeschmissen. Solch einen Verleger wünscht sich jeder Journalist.
"Nicht weinen", lautet die Devise
Dem Printjournalismus wird ja in unseren digitalen Zeiten seit Langem prophezeit, dass er stirbt, dass er tot ist. Und auch Howitzer Jr. liegt gleich anfangs tot auf seinem Schreibtisch aufgebahrt. Dahinter versammeln sich seine Mitarbeiter zu einem letzten Abschied. Nicht weinen, lautet noch immer die Devise. Stattdessen werden uns einige der skurrilsten Artikel des Magazins erzählt. Und immer aus einem anderen Ressort.
Gleich zu Anfang führt uns Reisekolumnist Herbsaint Sazerac (Owen Wilson) durchs kleine idyllische Städtchen, das so musterhaft französisch ist, wie es sich nur ein Nicht-Franzose ausdenkt wie der in Frankreich lebende Anderson. Kunstkritikerin JKL Berensen (Tilda Swinton mit schrecklichem Überbiss) referiert über den genialischen Maler Moses Rosenthaler (Benicio Del Toro), der, als Mörder verurteilt, in einer Irrenanstalt sitzt. Und wieder und wieder seine Muse Simone (Léa Seydoux), eine rigide Wärterin, als Nacktmodell malt. Bis ein Mithäftling (Adrien Brody) ihn zum hipsten Künstler seiner Zeit aufbaut.
Journalistische Neutralität wird nicht so ernst genommen
Die Politikjournalistin Lucinda Krementz (Frances McDormand) soll über die Studentenrevolte in Frankreich schreiben, verliebt sich aber in einen ihrer Anführer (Timothée Chalamet) und landet mit dem jungen Mann nicht nur im Bett, sondern schreibt ihm auch noch sein politisches Manifest. Und Gastro-Spezialist Roebuck Wright (Jeffrey Wright) soll eigentlich ein Porträt des sagenhaften Polizeikochs Nescafier (Steve Park) geben – Spezialität: Omelette à la policier –, landet dann aber in einem knallharten Krimifall, als der Sohn des Polizeichefs (Mathieu Amalric) entführt wird. Und kommt am Ende doch wieder in sein Ressort zurück, weil nur eine vergiftete Rettichspeise von Nescafier die Entführer ausschaltet.
Es sind höchst absurde Miniaturen, inszeniert in unterschiedlichen Erzählhaltungen. Die Maler-Episode als Kunstreferat in einem Hörsaal, die Studentenrevolte als ein Stück über dessen Anführer, das noch geprobt wird, die Koch-Episode schließlich als Gespräch in einer Talkshow. Dabei nehmen es die Auslandskorrespondenten nie so genau mit der journalistischen Neutralität, mischen sich ein und werden Teil ihrer Geschichten, die stets eine ganz andere Wendung nehmen als gedacht.
„The French Dispatch“: Kein Spielfilm, eher eine Kompilation von Kurzfilmen
Wes Anderson verfährt in all seinen Filmen so, kommt vom Hundertsten ins Tausendste und verliert sich in lauter großartige Details, von denen man keine missen möchte. Ausstatter Adam Stockhausen und Kameramann Robert Yeoman dürfen sich hier mit Lust austoben. Der Abweg aber ist kein Irrweg, sondern das Ziel.
Sind schon Andersons frühere Filme gern aus der Form gefallen, so zerfällt „The French Dispatch“ gänzlich in Episoden, lauter herrliche Preziosen, die nichts miteinander zu tun haben. Kein Spielfilm, eher eine Kompilation von Kurzfilmen. Es ist letztlich, als blättere man durch ein Magazin und bleibe mal an dem einen, mal an dem anderen Artikel hängen. Dass es nicht noch mehr Episoden gibt, ist wohl nur der Länge des Films geschuldet. An Andersons Fantasie hat es jedenfalls nicht gelegen.
„The French Dispatch“ ist auch eine Hommage ans alte Kino
„The French Dispatch“ ist eine Liebeserklärung an Zeitungsmagazine wie „The Paris Review“, vor allem aber „The New Yorker“, an dessen Herausgeber Harold Ross Murrays Howitzer-Figur nicht von ungefähr erinnert. Im Abspann dankt der Regisseur allen Journalisten, die ihn geprägt haben.
Es ist auch eine Hommage ans alte Kino, wie es das längst nicht mehr gibt. Den alten, analogen, handgemachten Film. Mit mal blassfarbenen, mal schwarz-weißen Bildern und dem altmodischen 4:3-Format. Auch dieses klassische Erzählkino droht zu sterben. Hier wird es noch einmal aufgetischt, wie der tote Verleger im Film. Dessen Devise müsste beim Schauen des Films aber leicht abgewandelt werden. „Weinen verboten. Schwelgen erlaubt.“
„The French Dispatch“ 108 Minuten, ab 12 Jahre, läuft im Abaton, Elbe, Koralle, Savoy, Studio, UCI Mundsburg, Zeise