Hamburg. Der Hamburger Singer-Songwriter stellte seine Schubert-Lied-Versionen in Planten un Blomen vor. Die Konzertkritik.
„Wo die Verwundeten wohnen, da will ich sein“ – schöne Textzeile, könnte glatt aus einem der vielen Lieder von Franz Schubert sein, mit denen der Wiener sich vor etwa 200 Jahren je nach Textvorlage sein Herz beschwerte und sein Gemüt erleichterte, oder umgekehrt. Ist aber aus dem nicht ganz unsarkastischen Song „Herzlichen Glückwunsch“ des Hamburger Singer/Songwriters Gisbert zu Knyphausen, deutlich jünger, dennoch passend.
Wie schwer Schubert-Lieder heute zu verstehen, zu enträtseln und ganz schlicht auch zu singen sind, hat Knyphausen nicht davon abgehalten, es dennoch anzugehen. Ganz anders als der Schauspieler Charly Hübner vor einiger Zeit mit dem Ensemble Resonanz, aber auch ergreifend schön.
Gisbert zu Knyphausen in Hamburg: Vertonte Pflaster aus viel Moll
„Lass irre Hunde heulen“ – das ist dann tatsächlich Schubert, aus „Gute Nacht“ in der „Winterreise“ – wurde zum Album-Projekt mit dem Pianisten und Arrangeur Kai Schumacher; die Premiere in Hamburg fand im Musikpavillon von Planten un Blomen statt. Eine deutlich andere Schubertiade also, mit einigen Streichern, Posaune, Rhythmusgruppe und unüberdachten Außentemperaturen, bei denen man sich wärmende Gedanken machen musste.
Und die Idee hat ja auch was: Vertonte Pflaster aus viel Moll und wenig Dur auf vom Leben bös verdellte Herzen zu kleben, diese zeitlos wichtige Kultur-Überlebenstechnik wendet man auch in den Balladen an, die im Schanzenviertel von einem Social-Media-Account zum nächsten geteilt und mitgelitten werden. Das sei „sehr, sehr, sehr, sehr deep“, hieß es völlig zu Recht, als der „Leiermann“ als schauerlicher Rausschmeißer seine Runde ins Leere drehte.
Gut abgehangene Balladen-Schwermut
Die Arrangements hatten leichte, schöne Schlagseite in Richtung Schauspielmusik, immer wieder rumpelte die an Tresen gut abgehangene Balladen-Schwermut eines Tom Waits sanft durchs Klangbild. Die Heine-Vertonung „Der Doppelgänger“ aus dem „Schwanengesang“ bekam als Vorwarnung „der Protagonist, der ist so was von durch….“ mit auf den Weg. Auch das war ganz richtig.
Doch Knyphausen & Schumacher, wie Schubert & Goethe, konnten auch mal anders: aus der „Nähe des Geliebten“ machten sie ein kleines fluffiges Idyll, wie mit dem Instagram-Weichzeichner und einem Hauch Country-Twang komponiert.
Musik, die man sich mehrmals anhören sollte
Und weil Knyphausens Gesangsstil es nicht so mit der frontalen Durchschlagskraft hat, wirkte seine Version des Schubert-Ständchens (schon dieses Wort ist toll, weil es nach gutem Kaffeeservice und Sonntagsausflug mit Oma Inge riecht) „Leise flehen meine Lieder“ so ganz und gar unpeinlich aufrichtig. So wurde aus dem Abend eine Retro-Veranstaltung, die nicht zuletzt auch zeigte, dass man auch abseits von Spotify und TikTok Musik entdecken könnte, die man sich mehrmals anhören sollte.
„Lass irre Hunde heulen“ erscheint am 10. September (Neue Meister, CD, ca. 17 Euro, LP ca. 22 Euro) / Ensemble Resonanz & Charly Hübner „Mercy Seat – Winterreise“ (Harmonia Mundi, ca. 18 Euro)