Hamburg. Bei seinem Klavierabend im Großen Saal spielte der Pianist Víkíngur Ólafsson Werke von Rameau und Debussy.
Das eine oder andere deutsche Wort ist ebenso rührend wie einzigartig. „Wehmut“ beispielsweise. Das ist leise und unaufdringlich, zart und zerbrechlich. Darin klingt auch die nicht geringe Tapferkeit an, sich den kleinen bis größeren Schmerzen des Lebens zu stellen.
Für den versonnen dahindämmernden Klavierabend, den der Isländer Víkíngur Ólafsson im stimmungsstark abgedunkelten Großen Saal der Elbphilharmonie gab, hatte er – wie auf seinem letzten Album – Werke von Rameau und Debussy kombiniert und sich die beiden jahrhunderteweit voneinander entfernten Franzosen gründlich, sehr gründlich zu Herzen genommen.
Endlosschleife aus Introspektion
Ein „virtuoses“ Konzert im klassischen Sinne – viele Noten, viele schöne Geräusche – war das nicht, eher ein wehmütiges Gedanken-Spiel mit behutsam in die Welt gesetzten Noten, ein Essay ohne Worte. Und vor allem mit viel Geduld, ohne Drang ins Vordergründige. Drei fein harmonisierende Einzelgänger waren dort auf der Bühne im Gespräch miteinander: der barocke Traumtänzer, der impressionistische Stimmungsparfumeur und der isländische Pianist, der sich für das einstündige Kurzkonzert so ziemlich alle Zeit der Welt nahm. So entstand eine Perlenkette aus Stückchen, eine Endlosschleife aus Introspektion.
Wie sehr er Rameaus Formensprache dehnen und entkernen würde, zeigte Ólafsson schon im ersten Abschnitt seines Experiments, das ganz ohne Zwischenräume zwischen den Stücken auskam, um nur ja nicht diesen tiefen, leisen Fluss der Ideen unnötig zu unterbrechen oder gar zu stauen: „The Arts and the Hours“, seine Bearbeitung eines Zwischenspiels aus „Les Boréades“, begann schon in Zeitlupe und lehnte sich tiefenentspannt bis in die Superzeitlupe zurück.
Spannung und Leichtigkeit
Ein Effekt wie ein Blick durchs Mikroskop auf die Melodieverläufe und Harmonien, und auch eine enorme Leistung, dennoch die Spannung und die Leichtigkeit zu halten.
Wo die eine kleine Träumerei endete, begann ganz selbstverständlich die nächste, Debussys „La fille aux cheveux de lin“, ähnlich hauchzart und nostalgisch in die Tasten verabschiedet. Der erstaunliche Bonus bei dieser Kombination: Nichts klang massiv oder überladen mit Leistungsdruck. Diese Musik sollte nicht überwältigen, sondern den Sinn für Schönheit zum Mitfühlen anregen.
Leise und großartige Töne
Nur sehr selten ließ Ólafsson Tempo und Brillanz zu, manche der Tanzsätze in den Suiten-Kostproben von Rameau wirkten durch diesen gut dosierten Überraschungseffekt schon fast gehetzt. Die Spieluhr-Mechanik, die solche Musik haben kann, wurde nur kurz angedeutet. Olafsson wollte lieber, dass man genau zuhört, auf die leisen, großartigen Töne, aus denen diese Musik bestand.