Hamburg. Der beliebte Pianist genoss seinen Auftritt sichtlich. Levits Beethoven-Sonaten-Comeback im Großen Saal versprach Größeres.
Dieses extraselige, bis hinter beide Ohren reichende Lächeln am Ende von Konzerten werden wir bald wohl öfter sehen bei Künstlerinnen und Künstlern. Eine Pandemie und eine große, vielleicht fundamental reifende Wandlung liegen zwischen dem letzten Konzert und seinem Rückkehr-Auftritt von Igor Levit im Großen Saal der Elbphilharmonie, der vor dem ersten Ton ungläubig strahlte „Mensch, das ist echt schön“ und am liebsten noch eine ausgiebige Runde auf dieser Bühne gedreht hätte.
Bevor er am Freitag seine Zugabe, ein cool verträumtes Sinnieren des Jazzers Fred Hersch, in die Tasten massierte, kommentierte er das Wieder-Da-Sein-Dürfen dort vor dem verzückten Publikum mit „Ich finde sogar das Husten schön – aber das sage ich nur heute...“ Szenenapplaus auch dafür, klar.
Das Comeback nach etlichen Monaten vor etwa 600 Menschen war coronabedingt kurz, gerade mal zwei zeitlich überschaubare Sonaten, ein knappes Stündchen, an zwei Tagen in je zwei Runden hintereinander. Doch die Botschaft der Rückmeldung im Scheinwerferlicht eines Konzertsaals versprach Größeres.
Levit in der Elbphilharmonie: Nicht alle Noten waren klar hörbar
Dass ein Pianist wie Levit, der die Auseinandersetzung mit Beethovens Klaviersonaten-Universen in seinen Vor-Corona-Konzerten auch als kompromissarmes Ringen und liebevolles Ausreizen verstanden und mitunter auch seine Wut extremverliebt inszeniert hatte, beim Wiedereinstieg in diesen Dialog aus purem Spielglück anfangs zu sehr das Tempo anzog und eine interessante Not damit hatte, dennoch in der Spur zu bleiben, ist mehr als verzeihlich. Das ist nur menschlich.
Umspielende Feinheiten der Ideenweiterspinnung im Presto der D-Dur Sonate op. 10/3 verhuschten deswegen leicht und verschwammen ins Ungefähre; sehr viele Noten, nicht alle waren immer klar hörbar. Weil Beethoven diese Sonate mit einem Aufbruch durch aufbrausenden Rhythmus beginnen lässt, ohne sich allzu sehr um Melodisches zu scheren, gab Levit dieser Feuerwerks-Versuchung fröhlich nach.
Mehr und mehr erkundete Levit die Klang-Möglichkeiten
Doch nach der oberflächlichen Verspieltheit des Kopfsatzes versenkte er sich umso langsamer und eindringlicher im finsterbitteren, schmerzhaft offenen Largo, in einem ungleich tieferen Abgrund. Wer diesen Teil derart drastisch spielen will und kann, muss sehr mutig und sehr aufrichtig mit sich selbst sein wollen. Stockende Pausen, wundenartige Brüche klafften in diesem Satz, der nach dem spaßigen Lostollen des Beginns apokalyptischen Ernst verlangt.
Die unbeschönigende Schönheit, mit der Levit sich dieser Seelen-Entblößung stellte, war schon ein spannender Vorgriff auf den Umgang mit den Rührseligkeits-Schmalztöpfen, von denen der Beginn der „Mondscheinsonate“ umzingelt ist, die anschließend auf dem Programm stand. Das Menuett in op. 10/3 wurde herzerwärmend ausgesungen, die kiebigen kleinen Einsprüche gegen dieses Idyll ließ Levit mit gut dosierter Situationskomik zu, bevor er sich das Final-Rondo als Happy End gönnte und es so gekonnt unscheinbar abblendete, als wäre die ganze Sonate doch nur höchstens halbernst gemeint gewesen.
Lesen Sie auch:
- Konzerte in Hamburg: Von Levit über Mutter bis Nelson
- Ein großer Abend für den Jazz in Hamburg – mit Pinar Atalay
- Elbphilharmonie: Persönliche Überraschung für das Publikum
Igor Levit: Schlussspurt ohne Rücksicht auf Verluste
Harter Schnitt: die „Mondscheinsonate“ mit ihrer cis-Moll-Tristesse. Viel zu gern brachial überromantisiert und übel verkitscht, nicht immer mit jener empathischen Souveränität zu hören, die Levit hier aufbot. Die Begleitakkorde, aus denen sich die Melodie erhebt, waren nicht der übliche Betroffenheits-Bodennebel, sondern ein festes, leichtes Fundament. Gerade so viel Pedal wie nötig und nicht wie möglich.
Den Mittelsatz tänzelte Levit geschmackvoll und mit pointiertem Gestaltungswillen aus, formschön und klug abwägend, um zwischen den beiden Extremsätzen davor und danach ja nicht aus der Balance zu geraten. Mehr und mehr, nachdem die anfängliche Aufgeregtheit offenbar dem Situationsgenuss gewichen war, erkundete Levit auch mehr und mehr die klangfarblichen Möglichkeiten seines Flügels.
Schlussspurt ohne Rücksicht auf Verluste war das Presto agitato. Wer hier auch nur ans Bremsen denken würde, hätte schon verloren. Levit raste stattdessen frontal in den Überschwang und die gezielte Überforderung hinein. Die Akzente donnerte er ins Instrument, das Wortspielchen „Hämmerklaviersonate“ provozierend. Hier und da ging dieser prall ausgekostete Furor zwar knapp am originalen Notentext vorbei. Aber Ausdrucksschwung und Perfektion müssen ja auch nicht immer gut erzogene siamesische Zwillinge sein. Erst recht nicht an einem Abend wie diesem.
Termine: 05.06., 18.30 Uhr und 21 Uhr; 26.7., 27.7., 20 Uhr, Finale des Beethoven-Zyklus. Elbphilharmonie, Gr. Saal. Evtl. Karten. www.proarte.de