Hamburg. Evgeni Koroliov und Ljupka Hadzigeorgieva bestritten im Rolf-Liebermann-Studio des NDR einen Abend zu Ehren des Komponisten.
Das Klavierduo präsentiert sich derzeit in einer Eigenschaft, die in der Musikgeschichte jahrhundertlang unerforscht blieb: Es ist eine nahezu ideale Formation für Konzerte unter den Anforderungen der Pandemie. Bei dem ins Digitale verlegten Festival „Strawinsky in Hamburg“ haben das gerade erst Burkhard Kehring und Mariana Popova im Verein mit dem NDR Chor vorgeführt.
Zwei Tage später sendet der NDR nun einen Stream, in dem Kehrings Hochschulkollege Evgeni Koroliov und seine Duopartnerin Ljupka Hadzigeorgieva im Rolf-Liebermann-Studio einen ganzen Abend zu zweit bestreiten. Ebenfalls zu Ehren Strawinskys, der vor 50 Jahren in New York starb.
Über die kompositorische Entwicklung dieses Mannes kann man nur staunen. Wer verbände mit seinem Namen nicht das wüste „Sacre du printemps“ für großes Orchester? Koroliov und Hadzigeorgieva beleuchten eine ganz andere Seite von Strawinskys Schaffen: Sie beginnen mit dem Satz „Nocturne“ aus dem Konzert für zwei Klaviere von 1935, das mehr als 20 Jahre nach dem „Sacre“ entstand. Das eine Klavier singt eine fast harmlose Melodie, dreht sich spielerisch um sich selbst, während das andere einen gelassen schreitenden Rhythmus darunterlegt. Es ist eine fast impressionistische Welt voll zarter Farben und kleiner, den Hörer nie überfordernder Überraschungen.
Koroliovs und Hadzigeorgievas Hommage an Strawinsky
Das Stück weht vorbei, es macht Platz für die „Sonate für zwei Klaviere“. Strawinsky schrieb sie wiederum ein knappes Jahrzehnt später. Hermetisch wirkt diese Musik, kühl, wie das Gegenteil von Romantik. In ihr entäußert sich nicht der Künstler, sondern die Sonate bleibt wie für sich, ob sie nun mit den überbrachten Formen spielt oder das tänzelnde Allegretto gleichsam auf einem Doppelpunkt, ohne Auflösung, enden lässt.
In die Mitte des Programms stellen die beiden eine „Hommage à Strawinsky“ für Klavier vierhändig von György Kurtág aus dem Zyklus „Játékok“. Kaum zwei Minuten kurz, erscheint die Hommage wie eine fragmentarische Reminiszenz zu dem vorausgegangenen Allegretto. Immer stiller wird sie und verschwindet schließlich unter den Händen der Pianisten in das leiseste Pianissimo, das ein Flügel überhaupt hergeben kann.
Und dann, nach so viel Abgezirkeltem, Tiefschürfendem, erklingt es doch noch: „Le sacre du printemps“. Mit ihren 20 Fingern peitschen die Künstler die berühmten Fortissimo-Schläge bis zur Atemlosigkeit, dann wieder lassen sie unter den leisen, aber durchdringenden Oktavtrillern eine unsagbar resignierte Melodie sich winden.
Auch wenn im Kopf die Orchesterversion als Tonspur mitläuft, die Schärfe der Flöten und das Knattern von Blech und Schlagwerk: Koroliov und Hadzigeorgieva beweisen, dass die Klavierfassung ein Werk eigenen Rechts ist. Denn sie haben nicht nur eine orchestrale Farbigkeit, sondern artikulieren noch im ekstatischsten Tutti sehr differenziert und bauen so eine ungeheure Spannung auf.
Woran man sieht und vor allem hört: Wirkung ist keine Frage der Lautstärke. Sondern des Gestaltungswillens.