Hamburg. In seinem neuen Buch porträtiert Roland Schimmelpfennig Menschen, die vor allem eines sind: druff. Ein Hauptstadtroman.
Keine Macht den Drogen. Als Titel wäre das vielleicht ein wenig zu plump gewesen. „Die Linie zwischen Tag und Nacht“ hat Roland Schimmelpfennig, der vor allem als an deutschsprachigen Bühnen viel gespielter Dramatiker bekannt wurde, seinen dritten Roman stattdessen genannt – was selbstredend viel eleganter ist, schon weil sich darin nicht nur die Dämmerung, sondern auch die Koks-„Line“ entdecken lässt. Und davon kommen – neben Speed, Ecstasy, Heroin, Crack, Ketamin und Bier mit Tomatensaft – eine ganze Menge vor.
Schimmelpfennig führt seine Leser in Zwischenwelten, auf den brüchigen, schmalen Grat zwischen Tag und Nacht, zwischen Leben und Tod, zwischen Unterwelt und Hauptstadtglitzer, zwischen Abriss und Gentrifizierung, zwischen hellwach und todmüde, zwischen Halluzination und grausamer Realität.
Sein Protagonist balanciert permanent am Abgrund
Auch sein Protagonist, ein suspendierter, schwer traumatisierter Polizist um die 40, balanciert permanent am Abgrund, „eher selten gab es sie, diese Abende, an denen ich nüchtern und klar war“. Während dieser Ich-Erzähler, der den unschuldigen Namen Tommy trägt, mit seinen eigenen Dämonen kämpft, versucht er herauszufinden, wer das auffällig tätowierte und als Braut herausgeputzte Mädchen ist, das er am Görlitzer Park tot aus dem Landwehrkanal fischt.
Die (Ermittlungs-)Handlung aber bleibt für Schimmelpfennig mehr ein Vorwand, um einen flirrenden, unruhigen Figurenreigen in einer auf vielen Ebenen kaputten Stadt zu entwerfen. Da ist das vietnamesische Mädchen, das es mit Glückskeksen und Harvard versucht, bevor es auch bei den Betäubungsmitteln landet.
Ein Roman über Räume und Zwischenräume
Da sind der Luxusobst-Händler und die indische Feuerspuckerin, der ungarische Dealer und die türkische Clan-Chefin, der russische Mystiker und der Inseleremit. Lauter Versehrte, alle verbindet die Partystadt, die Hölle, die Haltlosigkeit und die Maßlosigkeit – nur dass die einen davon profitieren und die anderen daran zugrunde gehen. Skizziert wird ein verkommenes Berlin, in dem die Feierwütigen und Entgrenzten, die Halbseidenen und Abgestürzten aus aller Welt auf allem druff sind, was sie sich leisten können.
Dabei ist „Die Linie zwischen Tag und Nacht“ auch ein Roman über Räume und Zwischen-Räume. Ein altes Kraftwerk, eine ehemalige Turbinenhalle, Ruinen-Ateliers, Technofavelas. Schimmelpfennig lässt seinen gefallenen Polizisten durch diese Brachen taumeln und man folgt ihm in die Uneindeutigkeit, auf den Spuren all der verlorenen Seelen und Randexistenzen, deren Lebensscherben sich über die Nicht-Orte verteilen und kein Ganzes mehr ergeben.
Eine berauschende Szenenfolge ist das, mit einer nüchternen Erkenntnis: Nichts kann hier gut werden.