Hamburg. Gänsemarkt-Oper-Initiative stemmt beachtliche Aufführung. Es ist erstaunlich, wie viel Atmosphäre im Wohnzimmer ankommt.

Wie die Hamburgische Staatsoper so dasteht an der Dammtorstraße in ihrem 50er-Jahre-Gepränge, lässt sie nicht unbedingt vermuten, dass ihre Wurzeln bis weit ins 17. Jahrhundert zurückreichen. Die 1678 eröffnete Gänsemarktoper war ein Leuchtturmprojekt, würde man heute sagen: das erste öffentliche Theater Deutschlands. Es währte nur 60 Jahre, aber die hatten es in sich.

Glanz, Gloria und dem immensen Repertoire des Hauses hat sich die Initiative „Historische Oper am Gänsemarkt“ verschrieben (www.gaensemarkt-oper.de) In Zusammenarbeit und Personalüberschneidung mit dem famosen Barockensemble Schirokko hat man sich für eine Opernaufführung im Kleinen Saal der Elbphilharmonie den Mythos der Dido ausgesucht, wie er 1707 über die Hamburger Bühne ging, vertont von einem gewissen Christoph Graup­ner, im damals üblichen Sprach-Mix von Deutsch und Italienisch.

Energie der Beteiligten ist beachtlich

Kulturelle Veranstaltungen sind im Dezember verboten? Nun, dann eben als Livestream. Die Energie der Beteiligten ist beachtlich. Gefördert von der Kulturbehörde und mehreren Stiftungen, haben sie ihr Konzept unverdrossen weiterverfolgt. Haben Graupners „Dido, Königin von Carthago“ – sie ist seit ihrer Uraufführung in Hamburg nicht mehr gezeigt worden – mit dem ungleich berühmteren „Dido and Aeneas“ von Purcell und dem Epos von Vergil verschmolzen und auf pandemietaugliches Stundenformat gebracht. Haben die barocke Musik und die verschnörkelten Texte Schulklassen nahegebracht und mit den Kindern Ideen für Bühnenbilder entwickelt.

Bei der Arbeit mit Wasserfarben und iPad ist eine Bilderwelt von expressionistischer Kraft herausgekommen. Nur die Körnigkeit der Flächen erinnert daran, wo wir uns befinden; es sind die Buckel der Holzwände im Kleinen Saal.

Makellose Sängerbesetzung

Es ist erstaunlich, wie viel Atmosphäre im Wohnzimmer ankommt, auch wenn sich der Stream manchmal selbst überholt. Schon die Ouvertüre, handgemacht aus einer Graupner-Arie, pulsiert in herzzerreißender Melancholie. Der Sound des Fagotts und der Riesenlaute, Theorbe genannt, ist auch digital noch ungemein körperreich, silbrig glänzt der Klang der Violinen. Frank Arnold liest die Vergil-Texte unaufgeregt und so melodisch, dass einem die alte Sprache und sogar die vielen griechischen Namen vertraut vorkommen.

Makellos auch die Sängerbesetzung, allen voran die Sopranistin Elisabeth Breuer, deren drucklos geführte Stimme sich im Raum in aller Weichheit entfaltet und all den Schlaufen und Arabesken Sinn und Innigkeit verleiht. Womöglich ist nie jemand so schön auf der Bühne gestorben wie Dido in Purcells Arie „When I am laid in earth“, gebettet auf Seufzer der Streicher, die in Halbtonschritten unweigerlich ins Grab hinuntersteigen.

Lesen Sie auch:

Mit dem letzten Ton ist die Illusion fort. Kein Applaus, nirgends. Das Licht geht an, die Künstler verbeugen sich ins Leere, und statt der leuchtenden Bilder sind die Plexiglas-Spuckschutzwände zu sehen. Da muss die Rezensentin am Bildschirm doch schlucken.​