Hamburg. Bei seinem kurzfristig arrangierten Gast-Auftritt mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester dirigierte Salonen Strauss und Ravel.
Ist doch egal, wer da vorne steht und vor sich hin dirigiert, denken nicht wenige über die qualitative Flughöhe von Klassik-Konzerten. Wie verkehrt dieses Pauschalurteil sein kann, zeigte der Auftritt von Esa-Pekka Salonen, der wieder einmal – und nach wie vor zu selten – beim NDR Elbphilharmonie Orchester vorbei schaute.
Was Corona von seinem frisch angetretenen Chefposten beim San Francisco Symphony übrig lassen wird, weiß momentan niemand. Aber wann immer Salonen hier dirigiert, entsteht sehr Besonderes, zuletzt mit seinem Londoner Philharmonia Orchestra und Mahlers Neunter vor einem Jahr.
Elbphilharmonie: Trauer-Kammerspiel passend zur Zeit
Dass jetzt als erstes der zwei Stücke des Abends ausgerechnet Strauss’ altersmürbe „Metamorphosen“ auf dem Programm standen, kann – jenseits der handlichen Besetzungsgröße – auch als weitere tief besorgte Anspielung auf unsere Gegenwart gesehen werden, schrieb der greise Strauss dieses Stück doch am Ende des Zweiten Weltkriegs.
Sein Trauer-Kammerspiel für das Deutschland, in dem er so groß geworden und so berühmt war. Für die Welt, die nun – wie seine geliebten deutschen Opernhäuser – in Trümmern lag. Für die Kultur, die zerstört war. Katastrophe, keine klare Perspektive, Verzweiflung.
Durchhörbarkeit der Struktur durch gespreizte Sitzordnung entblößt
Dass diese emotionale Gratwanderung auch musikalisch höchstschwierig ist, unterstreicht, ganz nebenbei bemerkt, eine hinreißende Anekdote über Christoph von Dohnányis gefürchtet penible Probenarbeit während seiner Zeit mit dem NDR-Orchester, die so typisch klingt, dass sie eigentlich nur wahr sein kann. „Das Stück ist für 23 Solo-Streicher“, soll er einmal, ganz richtig, gesagt haben, „ich höre aber nur drei...“
Ganz so einstellig fiel die Trefferquote im ersten der zwei Kurz-Konzerte unter Salonens schnörkellos anmutiger Leitung zwar nicht aus. Doch nicht immer erhielten die Details die Aufmerksamkeit, die unmittelbare Intensität und das individuelle Engagement von jedem einzelnen Pult, die sie verlangen. Die intensiv zutage tretende Durchhörbarkeit der Struktur wurde durch die Saal-Akustik und die gespreizte Sitzordnung entblößt, der gemeinsam auszulotende Zusammenhalt kam dabei an seine Grenzen.
Zauberhafter Kontrast dazu: Ravels „Ma mère l’oye“-Ballettmusik
Salonens Gegenmittel war so pragmatisch wie beeindruckend: Er gefühlduselte den Gesamtklang nicht ins Ungefähre hinein, verlor sich nicht in der zartbitteren Schönheit der Wehmut, sondern behielt einen klaren, aber nicht kühlen Kopf. Etwas weniger „Capriccio“ also, Strauss’ letzte Oper, dafür mehr Sibelius. Eine Haltung, die sich auf den Trost konzentrierte und nicht vor allem auf die Trauerarbeit.
Reizender, zauberhafter, elegant aufgefächerter Kontrast dazu war Ravels „Ma mère l’oye“-Ballettmusik. Auch wenn es so gedacht ist, alles andere als ein Kinderspiel. Schon aus dem ersten Abschnitt hätte man eine Monatsration Dirigier-Unterricht destillieren können, weil Salonen es mit bewundernswertem Understatement schaffte, die Holzbläserstimmen in einer luftigen Balance zu halten. Er geleitete das Orchester eher durch das Stück, als dass er es autoritär führte. Wie mit Samthandschuhen, wie auf Zehenspitzen.
Esa-Pekka Salonen als versonnen lächelnder Magier
So zeichnete Salonen mit sehr feinem, sehr einfühlsamem Pinselstrich eine poetische Kindermärchen-Szene nach der anderen und holte erstaunliche Delikatesse aus dem NDR-Orchester heraus. Ganz reizend, wie aus dem Bilderbuch, das höfliche Ungeheuerchen-Rumoren des Kontrafagotts im Aufeinandertreffen der Schönen mit dem Biest. Sanft und vorsichtig wurde gewalzert, nirgendwo bekam diese verwundbare Musik Druckstellen, weil Salonen die Feinmechanik dieses Uhrwerks vor sich hin schnurren ließ.
Allerliebst die Chinoiserie-Anmutung im Abschnitt mit der Kaiserin und den Pagoden. Überall diese elegisch aufblühen könnenden Melodien, in den pastelligen Streichern, vom Englischhorn, mündend in die liebliche Vertonung eines Feengartens, in der Salonen, es ist ja alles immer eine Frage des Timings, erst ganz zum Schluss seine letzte große Portion Glitzer und Charme in die Luft warf, als der versonnen lächelnde Magier, der er in diesem Stück sein konnte.
Das Konzert ist auf der Website des NDR-Orchesters und auf www.elbphilharmonie.de als Video-Stream abrufbar.