Hamburg. Der Sänger der Toten Hosen las beim Harbour Front Festival in der Elbphilharmonie aus seinem Buch über den FC Liverpool vor.

„Du suchst dir nicht deinen Verein aus, sondern dein Verein sucht dich aus“, schrieb Nick Hornby 1992 in „Fever Pitch“, dem Pokalsieger, wenn es um die Verbindung von Fußball und Literatur geht. Um das Erwachsenwerden im Leben und Kindbleiben im Stadion von Arsenal.

Insofern ist Andras Frege, bekannt als Campino und Sänger der Düsseldorfer Punkrocker Die Toten Hosen, vom Glück gesegnet. Er war 1973 elf Jahre alt, als sich der FC Liverpool entschied, den in Mettmann bei Düsseldorf lebenden Andreas in die „Red Army“, in den weltweit verzweigten, trink- und sangesfreudigen Chor der Liverpool-Fans aufzunehmen. Es hätte schlimmer kommen können, ein Bela B der Ärzte muss mit dem FC St. Pauli auskommen und wird wohl nie auf Champions-League-Siege, Pokaltitel und Meisterschaften anstoßen können. Campino hingegen hatte in den vergangenen zwei Jahren eine Menge zu feiern: Die „Reds“ waren 2019 Champions-League-Sieger und sind amtierender englischer Meister.

Campino ist grantig vor der Lesung, Liverpool kriselt

Trotzdem hat Campino schlechte Laune, als er am Sonntag auf den Beginn seiner Lesung in der Elbphilharmonie wartet. Liverpool hat gerade nur 2:2 gegen den Lokalrivalen Everton gespielt, in der Vorwoche gab es sogar eine 2:7-Klatsche gegen den Underdog Aston Villa.

Es läuft nicht gut an für das Team von Trainer Jürgen Klopp. Campino hingegen ist mit seinem ersten Buch „Hope Street – Wie ich einmal englischer Meister wurde“ Tabellenführer der „Spiegel“-Bestsellerliste. Nicht schlecht für ein Buchprojekt, das Campino vor dem Start von Liverpools Meistersaison begann: Eigentlich wollte er nur seinen Club literarisch durch die Saison begleiten, aber am Ende ist „Hope Street“ dann doch eine autobiografische Familiengeschichte geworden. Viel Spannung hätte Liverpools Meistersaison auch nicht hergegeben. 40 Seiten über die Schusstechnik von Mohamed Salah strich das Lektorat.

Ungewöhnliche Liebesgeschichte seiner Eltern

So erzählt Campino in der Elbphilharmonie zum Finale des Harbour Front Literaturfestivals von seinen Eltern. Campinos Mutter Jennie stammte aus Burnley, Vater Joachim aus Berlin. 1947 führte das Schicksal die beiden bei einem Begegnungsprogramm in Göttingen zusammen, wo Joachim Frege Jura studierte. Jennie blieb in Deutschland, das Paar heiratete, zog über Düsseldorf nach Mettmann und ließ seine sechs Kinder zweisprachig aufwachsen. Campino ist das Zweitjüngste.

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Aus heutiger Sicht ist es schwer vorstellbar, wie ungewöhnlich diese Liebe kurz nach dem Krieg war. Joachim Frege diente in der Wehrmacht und wurde verwundet gerade so eben noch aus dem Kessel von Stalingrad ausgeflogen. Angebotene Ohrstöpsel bei Tote-Hosen-Konzerten lehnte Richter und CDU-Mitglied Frege so ab: „Junge, ich war bei der Artillerie.“ Und Jennie gehörte zu den Besatzern, war eine Außenseiterin, die ihre Heimat vermisste.

Campino ist seit 2019 auch britischer Staatsbürger

Mit einer Familienhälfte in England und einer in Deutschland begannen viele Herzen in Campinos Brust zu pochen. Englische Musik, vom Mersey Beat aus Liverpool (Beatles, Gerry & The Pacemakers) bis zum Punkrock, sozialisierte ihn ebenso wie Kevin Keegan und der FC Liverpool.

Seit 2019 besitzt er auch die britische Staatsbürgerschaft. Singen lernte er allerdings im Eisstadion an der Brehmstraße bei der Düsseldorfer EG, auch Fortuna Düsseldorf gewann nach anfänglichen Hauereien mit dortigen Hooligans sein Herz: „Ich bin treu, aber nicht monogam“, fasst Campino es in der Elbphilharmonie („Die fehlte noch in meiner Sammlung“) zusammen. Das Publikum in Fortuna- oder Hosen-Fankleidung toleriert auch einen Campino in Hemd und Weste.

Soundtrack einer unerschütterlichen Liebe zu Liverpool

Zwei Stunden lang spricht Campino in mehreren Blöcken mit Moderator Marco Seiffert, liest Auszüge aus dem Buch und singt, begleitet von Hosen-Gitarrist Kuddel: „Long Way From Liverpool“ und „Draußen vor der Tür“ von den Toten Hosen, „Hope Street“ von TV Smith, Fangesänge („Poor Scouser Tommy“), „Ferry Cross The Mersey“ von Gerry & The Pacemakers und natürlich „You’ll Never Walk Alone“. Der Soundtrack einer unerschütterlichen Liebe zu Liverpool, die Campino in der Hafen-, Labskaus- und Beatlesstadt Hamburg heftiger spürt als anderswo.

Begeistert liest er von einer Begegnung auf dem Dom in den 80ern: „Unvermittelt stand einer der Rocker vor uns und sprach uns gelassen, scheinbar freundlich, in breitestem Hamburger Platt an: ,Passt ma’ auf Jungs. Ich dreh hiär jetzt noch oine Rundä, und wenn ich wiederkomm, denn seid ihr wech, ne?’“ Die Hosen rannten.

Manche Kurven-Kutte wird Campino einen Edelfan nennen

Natürlich outet sich Campino in seinem Buch auch als Edelfan, der sich mit Jürgen Klopp anfreundet, sich eine Dauerkarte und die Flüge zur Anfield Road, ja sogar zur Klub-WM in Katar (Pfui!) leistet, Tourneen mit dem Reds-Spielplan abstimmt und seine Crew zusammenfaltet, wenn der Pay-TV-Stream hakt. Aber: Jeder Fußball-Verrückte würde an seiner Stelle wohl das Gleiche tun.

Literatur-Tipps Campinos Buch „Hope Street – Wie ich einmal englischer Meister wurde“ ist im Piper Verlag (368 S., 22 Euro) und als Hörbuch erschienen. In „Am Anfang war der Lärm“ (Rowohlt, 416 S., 9,99 Euro) erzählten die Toten Hosen 2015 persönlich ihre Bandgeschichte. 2019 verneigte sich Sänger Thees Uhlmann in „Thees Uhlmann über die Toten Hosen“ (KiWi, 192 S., 12 Euro) vor Campino, Kuddel, Andi, Breiti und Vom.

Musik-Tipps Das aktuelle Tote-Hosen-Album „Laune der Natur“ erschien 2017. Am 13. November covern die Hosen auf „Learning Englisch Lesson 3“ Mersey-Beat-Bands: Beatles, Searchers und Rory Storm & The Hurricanes.