Hamburg. Mit „Care Affair“ zeigt die Gruppe Frauen und Fiktion im Lichthof Theater ein wirklich tolles Stück zur Sorgearbeit.
Noch vor einem halben Jahr standen alle um 21 Uhr auf dem Balkon und klatschten. Der allabendliche Applaus galt Pflegekräften, denen während der ersten Corona-Welle Respekt gezollt werden sollte. Wenn man sich aber unter echten Pflegekräften umhörte, erfuhr man: Die sind gar nicht begeistert von dem Geklatsche. Die hätten nämlich Respekt lieber in Form von auskömmlicher Bezahlung oder akzeptablen Arbeitsbedingungen.
Womit man schon direkt im Zweite-Welle-bedingt minimal bestuhlten Lichthof Theater ist. Hier hat die Gruppe Frauen und Fiktion ein Stück über Pflegearbeit entwickelt und schließt damit konsequent an die Diskussion um Respekt und Ökonomie an: „Care Affair“, eine Recherche in verschiedenen Milieus, die sich allesamt um Fürsorge, Pflege, Unterstützung gruppieren und dabei die Grenzen zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit verwischen.
Grenzen zwischen Arbeit und Privatem verschwimmen
Altenpflege: wird an die Familie ausgelagert. Haushalt: macht man so nebenbei. Kindererziehung: ist Elternsache. Was natürlich so allein nicht stimmt. „Was ist an Sorgearbeit Arbeit?“, fragt Gregor Schuster. Wenn er zum Beispiel mit dem Kind im Park spazieren geht – ist das echte Arbeit? Vorsicht: „Ich kann die Zeit, die ich hierfür aufwende, nicht für Lohnarbeit nutzen. Und ich kann die Zeit auch nicht für mich selbst nutzen.“ Dass der Spaziergang mit dem Kind auch eine persönliche Erfüllung bedeutet, täuscht darüber hinweg, dass hier die Grenzen zwischen Arbeit und Privatem verschwimmen. Was sich direkt in der schlechten Entlohnung von Pflegetätigkeiten niederschlägt.
Oder auch in ganz existenziellen Verwerfungen. Marilyn Nova White referiert das Schicksal einer osteuropäischen Altenpflegerin, die die 24-Stunden-Betreuung eines Schweizer Rentnerpaares übernimmt. Heißt: Wenn die Betreuten fernsehen, dann schaut sie mit. Wenn sie schlafen gehen, hat sie Freizeit, muss allerdings vor Ort bleiben, falls etwas passiert. Dafür ist sie Teil der Familie, wird, so wie es klingt, wirklich geschätzt. Nur ist es mit dem Familienanschluss nicht mehr so weit her, als sie eine Gehaltserhöhung einfordert: Sofort verliert sie Job, Wohnung, Aufenthaltserlaubnis. Die Vermischung aus Beruf und Privatem bietet Fallstricke.
Sphärischer Dreampop prägt die Stimmung
Theaterstücke, die auf Recherchematerial beruhen, haben einen Knackpunkt: Wenn Darsteller Interviews referieren, läuft man schnell Gefahr, Schauspieler und Figuren zu verwechseln. Die Inszenierung von Anja Kerschkewicz und Felina Lewits löst dieses Problem, indem sie das Gezeigte konsequent in die Abstraktion verschiebt.
Ausstattung (Levits und Hanna Scherwinski) und Video (Paula Reissig) sind in Kacheloptik aufeinander abgestimmt, man befindet sich nicht in der Realität, sondern in einem digitalen Raum, in dem sich keine Menschen treffen, sondern Argumente ausgetauscht werden – und selbst als Topfpflanzen in den Raum getragen werden, stellen diese nicht Lebendiges dar, sondern nur einen weiteren Schritt in Richtung Abstraktion, indem sich die Kacheln der ersten Szenen in florale Ornamente verwandeln.
Ähnlich die Musik von Jonas Mahari: sphärischer Dreampop, der einerseits verhindert, das Gezeigte für bare Münze zu nehmen, andererseits die Stimmung prägt. „Care Affair“ ist durchzogen von einer allumfassenden Sanftheit, das macht den Abend einerseits angenehm, sorgt aber am Ende für einen etwas pastoralen Ton. Die Forderung nach einer Streikkultur in der Pflege ist dabei noch inhaltlich konsequent, indem dann aber ein gesamtgesellschaftliches „Wir“ beschworen wird, das jenseits von konkreten politischen Positionen agiert, ist das nicht ungefährlich. Weil der Abend da ähnlich unpolitisch argumentiert wie eine Gesellschaft, die Pflege in Nachbarschaft zu Liebe und Zuneigung stellt.
Applaus statt mehr Geld für Pflegearbeit
Dabei wissen Frauen und Fiktion schon, dass die Forderung nach einem Neudenken von Pflegearbeit politisch ist. Wenn nämlich das transsexuelle Paar ein Kind bekommt und die Frage nach der Pflege des Kindes neu ausgehandelt wird, dann ist das keine wolkige Utopie mehr. „Wie denken wir Elternschaft?“, fragt Schuster an dieser Stelle, und das ist eine Frage, deren Antwort konkrete politische Verschiebungen zur Folge haben wird.
Vielleicht liegt in dieser Antwort auch das Unbehagen, das viele Pflegekräfte angesichts des freundlichen Corona-Applauses im Frühjahr hatten: ein Unbehagen an der Vorstellung, dass hier mal wieder die Durchdringung von Arbeit, Leben, Pflege und Liebe unsichtbar gemacht wurde. Mit der überdeutlichen Motivation, das Thema Geld gar nicht anzusprechen.
„Care Affair“ spricht das Thema an, weiß aber auch, dass das Problem mit einer Gehaltserhöhung nicht gelöst ist. Pflege ist weiterhin abgewertet, als Nicht-Arbeit, als unmännlich. Der queere Ansatz der Inszenierung hilft, solche Strukturen zu durchschauen, stellt die richtige Frage: „Welche Form von Männlichkeit lebe ich?“
Schon wieder Applaus. Diesmal für eines der klügsten, vielstimmigsten, ästhetisch konsequentesten Stücke, das die Off-Szene aktuell zu bieten hat.
„Care Affair“ wieder am 22., 23., 24.10., 20.15 Uhr, 25.10., 18 Uhr, Lichthof Theater, Mendelssohnstraße 15, Tickets unter www.lichthof-theater.de