Hamburg. Die Erstaufführung der Farce „Blots en lütten Boort – Das Bärtchen“ wird am Heidi-Kabel-Platz mit viel Beifall und Gelächter gefeiert.

Wann ist der Mann ein Mann? Eine Frage, für die man nicht allein den deutschen Pop-Barden Herbert Grönemeyer („Männer“) bemühen muss. Ein Symbol der Männlichkeit ist für viele (Frauen) oft ein Bart – nur gepflegt sollte er sein. Sowohl Bart als auch Mann. „Ohne Schnurrbart ist ein Mann nicht richtig angezogen“, soll der berühmte Maler (und Zwirbelbartträger) Salvador Dalí mal gesagt haben.

Sebastian Schmidt trägt einen „Henriquatre“ – zunächst. Bis ihn seine Verlobte Lisa bittet, den die Oberlippe und das Kinn umschließenden Bart abzurasieren, obwohl der doch den sanften und gutmütigen, eher unauffälligen Typen ziert. Ihr Vater, der sich zum Besuch angesagt hat, könne den Bart „snuddelig“ finden, und auch sie mag ihren „Söten“ am liebsten ohne.

Französische Komödie – im Ohnsorg eine Stunde kürzer

Das ist das Szenario der französischen Komödie „La moustache“ von Sacha Judaszko und Fabrice Donnio, die nur zwei Jahre nach ihrer Uraufführung in Paris jetzt im Ohnsorg-Theater zum allerersten Mal überhaupt im deutschsprachigen Raum zu erleben ist.

Das Premieren-Publikum am Heidi-Kabel-Platz goutierte die plattdeutsche Erstaufführung von „Blots en lütten Boort – Das Bärtchen“ mit langanhaltendem Applaus und zahlreichen Lachern. Und man konnte sich fragen, ob in der in dieser Corona-Spielzeit im Ohnsorg üblichen, knapp 70-minütigen Kurzversion gegenüber dem eine Stunde längeren Original eigentlich wirklich etwas fehlt.

Beim Rasieren bleibt ein Hitler-Bärtchen stehen

Ohnsorg-Oberspielleiter und Regisseur Murat Yeginer hat die von Kerstin Stölting ins Niederdeutsche übersetzte Fassung weitgehend auf reichlich Tempo und exaktes Timing getrimmt – ohne den ernsten politisch-religiösen Hintergrund mitsamt dem Spiel um Vorurteile gänzlich zu vernachlässigen.

Das Malheur für Sebastian liegt darin, dass sein Rasierapparat den Dienst aufgibt – erst fällt der Strom aus, dann ist das Gerät defekt – und so ein kleiner Schnurrbart unter seiner Nase stehen bleibt, ein Hitler-Bärtchen. Ausgerechnet kurz vor dem ersten Aufeinandertreffen mit dem Schwiegervater, der sich als „praktizierender Jude“ entpuppt, wie es Sebastian ausdrückt. Nicht nur sein Verhalten macht „Blots en lütten Boort“ zu einer turbulenten Farce.

Markus Gillich - als Sebastian glaubwürdig und einfühlsam

Hauptdarsteller Markus Gillich spielt den Sebastian glaubwürdig und einfühlsam als verzweifelten Normalo, der sich ob seines Missgeschicks zunächst zwischen Panik und Unterwürfigkeit bewegt.

Aus Versehen trampelt er noch auf der mitgebrachten Thora des Schwiegervaters herum, bis er sich mehr und mehr dagegen wehrt, in die rechte Ecke gestellt zu werden: „Ik bin keen Rassist!“ Und das, obwohl es beim Bewerbungsgespräch mit dem Personalchef per Skype-Interview völlig anders aussieht und auch das in die Hose geht.

Szenenbeifall für Graudus’ Slapstick-Nummer

Apropos: „Drei Männer und ihre Unterhosen“, könnte es auch heißen, wenn sich Sebastian, sein Wohngenosse „JB“ und der Hausmeister in der von Stephanie Kniesbeck modern ausgestatteten Wohnung rund um das große breite Sofa tummeln. Als JB heimst der für den am Fuß verletzten Daniel Schütter eingesprungene Konstantin Graudus Szenenbeifall ein: Er bekleckert nicht nur sein ausgeleiertes weißes T-Shirt mit Kaffee, sondern auch Sebastians frisch angeliefertes Bild und versucht, das mit dem Sprühen von Reinigungsmittel zu kaschieren. Eine zum Brüllen komische Slapstick-Nummer des Charakter-Komödianten Graudus. Ihn hatte Michael Lang, jetzt Ohnsorg-Intendant, ob seines eindringlichen Spiels vor einigen Jahren „das Gesicht des Theaters Kontraste“ genannt. In der Komödie „Der Vorname“ war Graudus indes auch der Bauch der kleinen Winterhuder Bühne – Letzterem bleibt er im Ohnsorg ohne Scheu treu.

Sein verlotterter JB hat die vermeintlich rechte Gesinnung Sebastians ja schon immer geahnt, beim Hausmeister aber ist nicht nur der Hut braun. Peter Christoph Grünberg, am Ohnsorg insbesondere aus der Studio-Produktion „De lütte Herr Jemine“ bekannt, überzeichnet seine Figur gekonnt als übereifrigen, stramm rechten Vollspießer, der lieber zu Hammer statt Harke greift.

Farce läuft bis 31. Oktober auch mit hochdeutschen Übertiteln

Ein Missverständnis ergibt das andere, eine Verwechslung folgt auf die nächste, die Auswüchse von Sebastians „Bärtchen“ werden immer abstruser. Nur gut, dass Till Huster als Lisas Vater trotz aller Anfeindungen seine Kippa und seinen Backenbart lange Zeit in Würde (zur Schau) trägt, nachdem ihn der Schwiegersohn in spe und dessen Kumpel JB anfangs für einen Kerl aus der Schinken-Werbung gehalten haben.

Bei derlei Testosteron auf engem Raum hat es Uta Krüger als Lisa bei ihrem Ohnsorg-Debüt nicht leicht, den Kollegen mit Abstand komödiantisch Paroli zu bieten. Doch selbst bei einem politisch brisanten Thema wie Rassismus in „Blots en lütten Boort“ gilt die alte Weisheit: „Wer zuletzt lacht ...“

Im Ohnsorg ist das bis zum 31. Oktober in dieser pointenreichen Farce an ausgewählten Terminen (23., 24., 30. und 31.10.) auch mit hochdeutschen Übertitelungen im Saal möglich. Nach einigen Minuten des Sich-Reinhörens gelang es den Besucherinnen und Besuchern aber bei rasanten plattdeutschen Erstaufführung, der Handlung zu folgen. Das brisante Stück hat ja noch längst keinen Bart, stattdessen ein spielfreudiges und homogenes Ensemble.