Hamburg. Die Geigerin Patricia Kopatchinskaja sorgte mit ihrem wütenden “Dies irae“-Konzert für einen beeindruckenden, verstörenden Abend.
Für subtil anklopfende Freundlichkeiten, für das nächste folgenlos verpuffende Bittebitte um etwas Aufmerksamkeit und Umdenken bei der Klimapolitik ist keine Zeit mehr, findet sie schon seit Jahren; diese Zeit war schon vor Corona dabei, rasant abzulaufen. Das Ende naht.
Kopatchinskaja prügelte mit zwei Gummihämmern auf eine Kiste ein
Also ließ die Geigerin Patricia Kopatchinskaja für das Finale ihres buchstäblich wütenden „Dies irae“-Konzerts eine große, sargähnliche Holzkiste auf die Bühne der Elbphilharmonie stellen. Neben ihr bearbeitete ein Pianist mit Wucht den Flügel, hinter ihr wurden acht Kontrabässe fast synchronzersägt. Und Kopatchinskaja prügelte in diesem erbarmungslosen Rhythmus der Musik von Galina Ustwolskaja – eine radikale Schostakowitsch-Schülerin, die gerade einmal 25 Kompositionen von sich als gelungen gelten lassen wollte – mit zwei Gummihämmern auf die Kiste ein. Wieder und wieder. Höllenlärm.
„Dies irae“, jetzt erst recht, schon in der Gregorianik wurde ängstlich unser aller Trudeln hin zum Jüngsten Gericht besungen, und mit diesem Hymnus, dessen Leidmotiv sich als wutroter Faden durch das kurze, heftige Programm zieht, endete alles im Großen Saal. Eine kleine Abordnung des Balthasar-Neumann-Chors, die vorher in Kreuzform aufgereiht gewesen war, betrat mit mönchischer Andacht die Bühne, zehn Stimmen, wunderbar klar zu hören, sangen den Hymnus ins Halbdunkel. Einer nach dem anderen knipste dann sein Licht aus und hielt sein tickendes Metronom an.
Die letzte, bei der das mahnende Zeitbomben-Symbol stillstand, war die Hauptklägerin selbst, die diese Protest-Performance als Stücke-Collage entworfen hat. Dass es jemand im Mittelrang schaffte, seinen Klingelton tatsächlich zweimal kurz hintereinander in diese Stille bimmeln zu lassen, ist auch eine gewisse zivilisatorische Gegenwartsignoranz, über die man sich aufregen könnte, allerdings etliche Etagen tiefer, als Kopatchinskaja es tut.
Ein unbequemer, beeindruckender, verstörender Abend
Rustikalbarockes wie Bibers „Battalia“ und halbwegs Aktuelles wie Crumbs scharfkantig aufgesplittertes Vietnamkrieg-Lamento „Black Angels“, mittendrin eine bitterzarte Streicherbearbeitung von Dowlands tränenfeuchtem Klagegesang „Lachrimae antiquae novae“ von 1604. Etwas Selbstkomponiertes von der Geigerin, „Wut“, wenig überraschend, der Titel, ein weiterer notengewordener Tobsuchtsanfall, der nicht wie Beethovens sprichwörtliches Schicksal nur gegen die Pforte klopft, sondern sich mit dem Kopf zuerst gegen sie wirft.
Alles Teile eines Puzzles aus Tönen und Zwischentönen, die Kopatchinskaja als ihre persönlichen Mittel zum Zweck in fast beliebiger Reihenfolge miteinander verband. Begleitet durch das hiesige Ensemble Resonanz, wurde daraus ein unbequemer, beeindruckender, verstörender Abend, der Demonstration und Performance sein sollte und war. Aber ganz bestimmt nicht bloß eine weitere angenehme Abend-Unterhaltung mit möglichst schön geübten Tönen.
Nächstes Kopatchinskaja-Konzert: 23.10., 18.30 / 21 Uhr: Orchestre Philharmonique de Radio France, Mikko Franck (Dirigent). Szymanowski-Violinkonzert Nr. 2, Franck Sinfonie d-Moll. www.elbphilharmonie.de