Hamburg. Am Heidi-Kabel-Platz hatte das Stück „Geister in’t Ohnsorg“ Premiere, ein neues ungewöhnliches Experiment der kleinen Studio-Bühne.
Not macht erfinderisch, manchmal aber auch einsam. Erst recht zu Corona-Zeiten in einem Theater. Zwar spielt das Ohnsorg schon seit Juli mit einem ausgeklügelten Sicherheits- und Hygienekonzept wieder, doch während fast vier Monaten der Schließung stellte sich die Frage, was aus dem Ohnsorg-Studio wird respektive Neues kommt.
Ein verrückter Spuk, das lässt sich nach der Premiere von „Geister in’t Ohnsorg“ sagen. Diese breiten sich im Haus derart aus, dass parallel auf drei Bühnen 50 Besucher statt der nur 20 im Studio erlaubten Teil eines ungewöhnlichen Experiments sein können. Regisseurin Hanna Müller, Dramaturgin Anke Kell und Co. haben das Stück mit theater- und zeitgeschichtlichen Texten angereichert. Kein ganz leichtes Unterfangen.
Heidi Kabel und Henry Vahl sind zu hören
Grün, gelb oder rot ist zunächst mal die Kärtchen-Frage im Foyer, bevor ein Ansager die Besucher begrüßt. „Die Schauspieler sind nicht da!“, sagt er entschuldigend, „doch Oskar Ketelhut wird einspringen.“ Der Darsteller ist mit seinem Solo „NippleJesus“ ohnehin bis 18. Oktober fürs Ohnsorg-Studio eingeplant. Mit einer grünen Karte darf man in den ersten Stock (Gäste mit roter Karte gehen in den Großen Saal, die mit gelber ins Rang-Foyer).
Gast-Schauspieler Sebastian Herrmann, der Ansager von der Treppe, gibt den Inspizienten Marco Laurens. An seinem Pult mit Mikro wird er zunehmend ungeduldiger („Herr Ketelhut, bitte dringend ins Studio!“), doch nichts passiert. Laurens stammelt, stottert, verweist aufs Programmheft und erzählt, dass das Ohnsorg zuletzt 1962 während der Sturmflut zwangsweise geschlossen hatte. Zu Zeiten von Heidi Kabel und Henry Vahl. Erst ganz leise, dann immer lauter dringen die Stimmen der Volksschauspieler durch. „Bitte absolute Ruhe im ganzen Haus!", brüllt Herrmann alias Laurens verzweifelt – und schickt die lachenden Green-Card-Kunden durchs Treppenhaus in den Großen Saal.
Meike Meiners spielt wie im Ohnsorg-Klassiker
Dort begegnet einem Meta Boldt, besser gesagt deren Geist. Meike Meiners zeichnet in karger Kulisse mit bleicher Maske gekonnt das intrigante Klatschweib nach, dessen Darstellung Heidi Kabel 1966 zu großer Popularität verhalf. Wie Kabel im Ohnsorg-Klassiker „Tratsch op de Trepp“ spielt Meiners den pensionierten Beamten Brummer an, einst verkörpert von Vahl.
Der wird aber auf der dritten Station im Rang-Foyer mit seiner letzten Paraderolle als Zitronenjette (Vahl spielte sie im St. Pauli Theater) lebendig. Robert Eder berührt mit seiner Darstellung dieser realen, alkoholkranken Hamburger Figur. „Keen Mensch mehr hier“, klagt er als Jette, „nur dieser Marco Laurens.
„Tüdelband“-Lied wird hier umgedichtet
Der Inspizient versammelt schließlich das Publikum im Großen Saal. Hier darf Herrmann im irren Finale aus dem Vollen schöpfen, sich etwa zum „Exorzist des Ohnsorg-Theaters“ aufschwingen und sich aller möglichen und unmöglichen Zitate bedienen: von Storms „Schimmelreiter“ bis hin zu Helmut Schmidt – Sturmflut 1962 – und Fips Asmussen.
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Auch musikalisch verschwimmen die Grenzen zwischen „U“ und „E“ (Arrangements: Felix Weigl), kulminierend in dem feinen, auf Meta Boldt und Jette umgedichteten „Tüdelband“-Lied. Es beendet nach 70 Minuten Herrmanns etwas zu langen Monolog. Und wem das Ganze zu wirr erscheint, dem sei das Programm mit Chronik und Quellenangaben empfohlen.
„Geister in’t Ohnsorg“ wieder Mi 23.9., 20.00, bis 9.11., Ohnsorg-Theater (U/S Hbf.), Heidi-Kabel-Platz 1, Karten ab 21,-: T. 35 08 03 21; www.ohnsorg.de