Hamburg. Mit Abstand das lauteste Hupkonzert des Jahres: Der Hamburger Sänger stand auf der Bühne des „Seat Cruise Inn“-Autokinos.
Vor einem Konzert macht man sich natürlich zunächst ausgehfein, das heißt in diesem Fall: Ab in die Waschstraße. Anschließend geht es weiter nach Steinwerder zum ausverkauften „Seat Cruise Inn“-Autokino vor malerischer Hafenkulisse.
Als einer der ersten deutschen Künstler hat sich der Hamburger Sänger Max Giesinger bereits im Mai sehr schnell auf die Corona-Umstände eingestellt und schließt am Sonntag zwischen Kränen und derzeit stillgelegten Kreuzfahrtschiffen seine Tournee durch neun Autokinos ab. Er gehört zu den wenigen Pop-Künstlern, die durch diesen Kniff in diesen Tagen noch Gagen einspielen können.
Nach dem Auftakt mit „Bist du bereit“ begrüßt Giesinger „sehr viele wunderschöne Autos auf dem Parkplatz“: 620 Pkw mit 1700 Insassen sind gekommen und von den Ordnern einzeln eingewiesen worden, den Kennzeichen nach nicht nur aus Hamburg und dem Umland, sondern sogar aus dem Berchtesgadener Land. 90 Euro kostete das Ticket für ein Auto mit zwei Personen, 45 Euro pro Kopf. Weitere „Rücksitztickets“ konnten für jeweils 34 Euro gebucht werden.
Max Giesinger singt im Autokino in Steinwerder
Man habe „die Kosten für den Endkunden stabil halten“ können, obwohl das Gelände infrastrukturell komplett neu erschlossen werden muste, erklärte Ben Mitha, Geschäftsführer des Mitveranstalters Karsten Jahnke Konzertagentur, vor der Show. Das umzusetzende Hygienekonzept erfordere darüber hinaus erheblich mehr Personal als ein Konzert in Prä-Corona-Zeiten.
Tatsächlich sind die Autokinokonzerte von Max Giesinger nicht unbedingt teurer als seine Club- und Stadtparkkonzerte, nur muss man dort eben nicht zwei Stunden lang im Fahrzeug auf dem zugewiesenen Platz – wer zuerst kommt, parkt zuerst – verharren. Auf der Bühne spielt die Band in nur erahnbarer Zimmerlautstärke, das Schlagzeug ist von einem Plexiglaskäfig umgeben, der Ton wird über eine UKW-Frequenz zu den Autoradios übertragen und einige Kameras zeigen das Geschehen auf der neben die Bühne verschobenen Kinoleinwand. Steriler geht es kaum; es ist wie eine Mischung aus Radiohören und Live-DVD-Gucken. Ohne Vorspulmöglichkeit.
Giesinger verwechselt Pinneberg mit Pirmasens
Trotzdem schafft es Giesinger, die Blechlawine in beste Stimmung zu versetzen. Zwischen den Liedern „Legenden“, „Die Reise“, „Nie stärker als jetzt“ und „Wenn ich leiser bin“ gibt es Hupkonzerte, sogar eines der Kreuzfahrtschiffe sowie vorbeiziehende Barkassen und Container-Feederschiffe tuten mit.
„Die Wolken rasen an dir vorbei“, singt Giesinger, während die Sonne hinter lila Wolken untergeht. Fernlicht-Scheinwerfer und Blinker messen sich mit der Lichtshow, Scheibenwischer-Spritzwasser und mitgebrachte Seifenblasen-Puster ersetzen die Bierdusche, und einige Frauen, die normalerweise wohl bei ihrem Freund auf die Schultern klettern würden, zwängen sich aus Dachfenstern und Seitenscheiben und schwenken ihre Handys, aus denen LEDs leuchten. Not macht erfinderisch.
Max Giesinger marschiert durch die Reihen „so weit der Funk reicht“, und zeigt, dass er als Baden-Württemberger, der seit fünf Jahren in der Schanze lebt, noch Probleme hat, die Kennzeichen der Umgebung zuzuordnen: „OD“ ist für ihn Oldenburg und „PI“ (Pinneberger-Sprüche dürfen bei keinem Autokino-Event in Hamburg fehlen!) verortet er in Pirmasens. Aber vielleicht ist das inszeniert und gehört zum Programm.
Hupkonzert ist Live-Erlebnis mit angezogener Handbremse
Das durch Loszettel zusammengestellte Cover-Medley mit „Griechischer Wein“, „Carwash“ (inklusive Autowäsche für einen Fan) und Rammsteins „Sonne“ kennen die nicht wenigen, ihm hinterherfahrenden Tour-Stammgäste wahrscheinlich schon, aber in Hamburg ist das alles neu. Die größte Attraktion des Auftritts sind die Umstände, ist das noch nie Erlebte.
Aber neu heißt bekanntlich nicht automatisch gut. Der Aufwand für die Veranstalter und das Aufgebot an Technikern und Einweisern sind immens für eine Zuschauerzahl, die nur knapp das Fassungsvermögen der Großen Freiheit 36 überschreitet. Der Getränkeumsatz an der Durchfahrttheke dürfte gegen null tendieren, an die Umweltbilanz möchte man auch nicht denken.
Die treusten Fans freuen sich sicher auch unter diesen Umständen darüber, Bruce Springsteens „I’m On Fire“ und die Zugaben „80 Millionen“ und „Für immer“ live zu erleben – sogar im Kleinwagen 150 Meter von der Bühne entfernt mit krächzendem UKW-Empfänger, der die um Gnade winselnde Autobatterie leer lutscht. Aber es bleibt eine hoffentlich vorübergehende Notlösung, dieses Hupkonzert, dieses Live-Erlebnis mit angezogener Handbremse.