Hamburg. Jan Salander ist ein Junge mit Gitarre, der vom Applaus lebt – auch. Sein Auftritt im Oberhafenquartier war ein ganz spezieller.
Noch in diesem Jahr hält Marek Lieberberg, Geschäftsführer des Konzertveranstalters „Live Nation“, ein Konzert mit 10.000 Besuchern in einem Stadion als „Testlauf“ möglich, wie „ntv“ berichtet. Ein ambitionierter Gedanke von „Mister Rock am Ring“, aber tatsächlich sind Fantasie, Durchsetzungsvermögen und Kreativität das Gebot der Stunde, wenn man Livekonzerte wieder ermöglichen will. Der Hamburger Musiker Jan Salander singt am Mittwoch im Oberhafenquartier ein Lied davon beim wahrscheinlich ersten offiziellen Konzert(chen) in der Hansestadt nach dem Lockdown. Allerdings vor 48 und nicht vor 10.000 Besuchern.
Natürlich war in den vergangenen Wochen immer Musik in der Stadt, bei Balkonkonzerten und Hinterhof-Sessions zum Beispiel. Aber ganz klassisch, an einem bestimmten Ort, mit zahlenden Gästen? Man wagte daran nicht zu denken, aber Anne-Katrin Gülck hat es getan.
Seit zwei Jahren organisiert die selbstständige Veranstalterin von „Bridge Gigs“ mehrere Konzertreihen, darunter auch „Musik & Stulle“ in Thomas Sampls Restaurant-Markthalle Hobenköök in der Stockmeyerstraße. 15 mit 50 Plätzen kleine, aber immer ausverkaufte Abende hatten Gülck und Sampl seit November 2018 über die Bühne gebracht, dann kam die Pandemie.
Konzert nach dem Lockdown: "Keiner kannte die Zuständigkeiten"
Aber als durch die Allgemeinverfügung vom 26. Mai Freiluft-Konzerte mit bis zu 50 Gästen unter Auflagen wieder erlaubt wurden, begannen sie mit den Vorbereitungen, die Reihe aus dem Restaurant auf den Vorplatz, der der Hafencity GmbH gehört, zu planen. Auf der Suche nach der in der Verfügung nicht angegebenen Stelle zur Genehmigung wurde Gülck tagelang durch das Bezirksamt Hamburg-Mitte, die Behörde für Verbraucherschutz, das Bauamt, das Gesundheitsamt und die Kulturbehörde hin und her gereicht: „Keiner wusste die Zuständigkeiten, auch wenn alle sehr freundlich waren, wir haben uns dann langsam rangetastet“, erinnert sich Gülck. Für die Zukunft wünscht sie sich niedrigschwellige Behördenhilfe, wie es auch der Koalitionsvertrag der Senatsparteien verspricht.
Aber bis zum ersten Song „Mein Haus“ von Jan Salander spielt letztendlich alles mit, sogar das Wetter. Alle 48 mit Kontaktdaten registrierten Karten sind verkauft, Gülck empfängt das bunt gemischte Publikum mit Mundschutz am Eingang zu einem mit Flatterband abgeteilten Karree, in dem Stühle mit ausreichend Abstand zueinander aufgestellt sind.
Der Wind pfeift durch die Reihen
Die Sitzgelegenheiten, zwei Boxen und ein Mikro, einige gestapelte Bierkisten und Kühlboxen für die im Kartenpreis von 15 Euro inbegriffenen belegten Brote bestimmen das minimalistische Bild.
So pfeift bei den Auftakt-Akkorden der Wind durch die Reihen, das später entfernte Flatterband knattert und alle paar Minuten quietschen und klappern die in Sichtweite vorbeifahrenden Fernzüge. Eigentlich keine idealen Bedingungen für Salander, aber der 1991 in Brighton geborene, seit elf Jahren auf St. Pauli lebende Sänger und Songschreiber hat bei seinen zahlreichen Konzerten in den Kneipen, Bars und Hostels auf dem Kiez schon unter härteren Bedingungen gespielt.
„Ich habe monatelang den Applaus, den Kontakt zum Publikum vermisst, das war schlimmer als die ausbleibenden Gagen“, erzählt er vor Konzertbeginn. Er hadert auch noch etwas damit, in seinem Set mit zwei Mal 20 Minuten Lieder wie „Drei Wochen“ („Mein Arzt hat gesagt, ich hab’ nur noch drei Wochen“) oder „Weltuntergang“ zu spielen. Er tut es trotzdem, und der Beifall des übersichtlichen, aber gut gelaunten Publikums für seine in einer Woche erscheinenden Debütsingle „St. Pauli riecht nach Gras“ wird von den umliegenden Häuser- und Hallenwänden noch verstärkt.
Der Junge mit Gitarre lebt vom Applaus
„Hier ist’s wunderschön“, singt Salander in „Verlaufen“, und in der Tat ist es wunderschön, endlich wieder Livemusik, Applaus, Lachen und Jubel zu hören. Da steht eigentlich nur ein Junge mit Gitarre, der über schwere Schädel nach Kieznächten und Sehnsüchte singt oder sich an Matthias Reims „Verdammt, ich lieb’ dich“ wagt. Und doch hat dieser Auftritt nach Wochen der Konzertabsagen, Verlegungen und Verbote etwas Rebellisches, Aufmüpfiges, Unbeugsames.
Und er macht Hoffnung auf mehr. Am 1. Juli beginnen die Freiluft-Konzerte vor dem Knust auf dem Lattenplatz, und auch Veranstalterin Anne-Katrin Gülck schaut optimistisch auf die nahe Zukunft: Am 19. Juni präsentiert sie in ihrer Reihe „Bordmusik & Backfisch“ den Musik-Comedian Bätz an Deck der MS „Cap San Diego“. Noch so ein kleiner Hauch frischer Wind in der Hamburger Konzertlandschaft.
Weitere Konzerte
„Cap San Diego“ Am 19. Juni um 19 Uhr spielt Musik-Comedian Bätz an Deck der „Cap San Diego“. Karten zu 19,90 unter www.tixforgigs.com
Knust Lattenplatz Die Open-Air-Saison auf dem Lattenplatz (Neuer Kamp 30) startet am 1. Juli (18 Uhr, ausverkauft) mit der wöchentlichen Reihe „Acoustics“, am 4. Juli (18 Uhr) startet die Reihe „Jazzhouse Open Air“.