Hamburg. Auch das NDR Elbphilharmonie Orchester ist blendend aufgelegt. Die Klänge wirken in Ohren, Herzen und Köpfen nach.

Es ist Zeit für ein Geständnis. Die ideale Musikkritikerin hat sicher jedes Musikstück der Welt gleich gern, so wie eine Mutter alle ihre Kinder gleichermaßen liebt. Nun, bei mir ist das anders, wie soll ich sagen – Rachmaninows drittes Klavierkonzert, das berühmte Rach III, es ist... also es ist irgendwie nicht so meins. Für meinen Geschmack zu viele Noten im Verhältnis zur musikalischen Aussage. Was hätte man aus denen alles machen können!

Yefim Bronfman spielt – und reißt das Publikum mit

So, nun ist es heraus. Und jetzt kommt das Aber. Aber: Wenn ich das Stück schon höre, dann möchte ich es bitte von jemandem hören, der es so glaubhaft spielt wie Yefim Bronfman gerade in der Elbphilharmonie. Der den volksliedhaft schlichten Melodien ihre Schlichtheit lässt, statt sie aufzubrezeln im Hinblick auf all die halsbrecherisch akrobatischen Passagen, mit denen Rachmaninow, selbst ein Pianist von Gnaden, den Klavierpart gespickt hat.

Bronfmans Ton ist dunkel, rund, erdnah, und so spielt er auch. Lässt sich nicht beirren, macht kein Blingbling aus der Musik, sondern lässt sich ganz auf sie ein. Ein paar Streiftöne unterlaufen ihm. Hobelspäne, mehr nicht. Das Publikum ist vollkommen hingerissen am Schluss, und was tut Bronfman? Macht ein Pokerface und gibt mal eben den letzten Satz aus Beethovens Appassionata-Sonate zu. Mätzchenfrei und zum Punkt.

NDR Elbphilharmonie Orchester blendend aufgelegt

Ich möchte ein so motiviertes, blendend aufgelegtes Orchester dazu hören wie das NDR Elbphilharmonie Orchester. Das sich so richtig in die Kurve all der süffigen Kantilenen legt. Bei dem die Bratschen und Celli zum obertonreichen Klangstrom verschmelzen, der sich im Raum himmelwärts öffnet wie eine Blume. Es tut wohl zu hören, wie souverän das Orchester mit der Akustik mittlerweile umgeht – was übrigens durchaus nicht allen Weltspitzenklangkörpern gelingt, die nur mal kurz hereinschneien.

Alan Gilbert hat eine Art, die Musik gleichsam tanzend zu herüberzubringen, dass man selbst vom Publikum aus das Gefühl hat, unmittelbar umsetzen zu können, was er meint. Er zeigt die Dynamik und die herzbewegenden Übergänge nicht einfach, er ist sie einfach, und die Musiker gehen wie selbstverständlich mit. Immer wieder geht ein Lächeln über die Gesichter.

Stille klingt nach – in allen Ohren, Herzen, Köpfen

Dieses organische Miteinander haben sie schon in der ersten Konzerthälfte an den Tag gelegt. Dem kurzen „Chorós Chordón“ aus der Feder der amtierenden Residenzkomponisten Unsuk Chin entlocken sie jede Nuance des Klangfarbenzaubers. Es klingt, als wehte der Wind durch einen regenfeuchten Wald. Chin instrumentiert hauchfein, und Gilbert und die Musiker erforschen noch die zartesten Pianissimo-Räume so, dass man bloß nichts davon verpassen will.

Für Bartóks Suite „Der holzgeschnitzte Prinz“ holt Gilbert die Melancholie, die Volkstanzweisen, aber auch das Idiomatische an der Tonsprache des Ungarn aus dem Orchester heraus. Und als er nach dem wunderbar sanften Abgesang des Horns abschlägt, darf der Sternenhimmel der Celesta noch in der Stille nachklingen. In allen Ohren, Herzen, Köpfen.