Hamburg. Philippe Quesne gastierte bei den Lessingtagen mit dem Stück „Farm Fatale“. Entstanden ist das Stück an den Münchner Kammerspielen.
Langsam schlurfen sie herein. Die Körper unförmig mit Stroh gepolstert, die Gesichter eine teigige Masse grotesk verzerrter Horrorfratzen, die Klamotten scheinbar direkt aus der Altkleidersammlung. Und doch sind es vier äußerst liebenswerte, sanfte Gestalten, diese Vogelscheuchen, die zu den Hauptakteuren der „Farm Fatale“ werden, dem neuen Stück des französischen Bühnenmagiers Philippe Quesne, das am Sonnabend anlässlich der Lessingtage im Thalia in der Gaußstraße gastierte.
Quesne, ursprünglich von der Bildenden Kunst kommend, ist seit langem mit freien Theaterproduktionen erfolgreich und war bis vor kurzem Leiter des Théâtre Nanterre-Amandiers bei Paris. Er ist ein Beispiel für jene Künstler der Freien Szene, die irgendwann für das Stadttheater entdeckt werden. „Farm Fatale“ ist an den Münchner Kammerspielen entstanden.
Die Vogelscheuchen kommunizieren nicht viel mit ihren grotesk verzerrten Stimmen – und doch mehr als in Quesnes früheren gesammelten Arbeiten zusammen. Um ein paar Strohballen gruppiert, lauschen Léo Gobin, Stefan Merki, Damian Rebgetz und Julia Riedler dem Vogelgezwitscher, doch, halt. Das kommt nicht aus der Natur, sondern wird per Kassettenrekorder zugespielt. Wir sehen nämlich kein Land-Idyll, sondern eine Kommune der letzten Überlebenden in einer postapokalyptischen Welt, die Bauern und Tiere dahingerafft hat. Eine Welt der Pestizide, des Glyphosat, in dem nur genetisch veränderte Superkühe eine Chance hatten. Nach und nach enthüllt sich Sinn und Zweck der Truppe: ein Radioprogramm als Klangarchiv aus verschwundenen Tönen vernichteten Lebens.
Die Erzählung bewegt sich zwischen Groteske und kabarettistischem Requiem und beglückt mit einem kindlichen Witz im Angesicht des Schreckens. Die Lage ist schwierig, aber für Quesne und sein Team scheint sie nicht hoffnungslos. Denn die Kommune findet leuchtende Eier, die sie in einem fahrbaren Heuschuppen hütet und hegt. Und wenn die Eier und auch die Neonröhren zu leuchten beginnen und dazu viel Nebel dräut, endet Philippe Quesnes wundervolles Öko-Märchen wie ein schöner, utopischer Traum. Der Mensch allerdings, ist darin überflüssig.
„Um alles in der Welt - Lessingtage 2020“ bis 9.2., Thalia Theater und Thalia Gaußstraße, Karten unter T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de