Hamburg. Andris Poga glänzte in der Laeiszhalle mit Schostakowitsch, Elena Bashkirova interessierte sich vage für Béla Bartók.
Bei der Bedeutung und Deutung des Worts „Einsatz“ hält die deutsche Sprache kleine, feine Abstufungen parat. Wie wichtig die sein können und wie groß die Unterschiede, wurde am Sonntag im Abo-Konzert der Symphoniker Hamburg vor Augen und Ohren geführt. Gast-Dirigent Andris Poga – ein Lette aus Riga wie der Kollege Andris Nelsons, ebenfalls Ex-Trompeter, zwei Jahre jünger – ist nicht nur für dieses Orchester kein Unbekannter mehr, auch beim NDR war er bereits. In Hamburg wird er gern für späten Schostakowitsch gebucht, zuletzt vor einem Jahr beim Ensemble Resonanz, mit dem er die selten gespielte 14. vorstellte.
Nun, in der Laeiszhalle, sollte es die 15., die letzte sein, in der Schostakowitsch zurückgrübelnd auf Eigenes anspielt, aber auch mit schicksalsschweren Zitaten aus Wagners „Ring“ und einem „Tristan“-Motiv-Aroma die Endlichkeit thematisiert. Und Poga, der offensichtlich einen ähnlich klaren Blick auf diese Sinfonien hat wie Nelsons, dirigierte dieses eigenwillig verschachtelte Stück derart unaufdringlich, effektiv und detailbewusst, dass nicht nur der Anblick eine Freude war, sondern erst recht das musikalische Ergebnis: bestens gearbeitet, gut durchdacht, straff und doch entspannt auftrumpfend.
Publikum will eine punktgenaue Konzentration auf Wesentliches
Das Rätselhafte, das Collagierte, der Spieluhr-Militärmarsch im Kopfsatz, der im ersterbenden Ticken der Musik-Mechanik im Finale seinen Gegenpart hat – all das wurde mit analytischer Schärfe zur Begutachtung freigegeben. Die Symphoniker reagierten und agierten bestens. Kein Maestro-Schaumschlagen für jenes Publikum, das gern möglichst viel Action sehen will für sein Geld, sondern punktgenaue Konzentration auf Wesentliches. Einsatz eben.
Diese Art von Einsatz wiederum hatte der prominentere Orchester-Gast zuvor großflächig vermissen lassen. Elena Bashkirova verpasste zwar manuell keinen Einsatz bei Bartóks 3. Klavierkonzert, die Virtuositäts-Anforderungen, hier ohnehin gebremster als in den beiden Vorgänger-Konzerten, waren nicht das Problem. Spielen kann sie, das weiß sie auch. Doch von leidenschaftlichem, intensiven Einsatz – diesem einebnenden Umgang mit einem Stück, der es zu mehr als einer bloßen korrekten Wiedergabe macht – war Bashkirova weit entfernt.
Körperliche Anwesenheit, das ja. Innere, nach außen, bis in die Fingerspitzen vordringende Dringlichkeit, Gestaltungsenergie? Kein Anschluss bei dieser Nummer. Erst im Schlussaufschwung des letzten Satzes verließ sie, die Noten waren so, ihre Komfortzone. Bashkirova spielte ihren Part vor und mit, bis sie es nicht mehr musste.
Andris Poga bewahrte einen kühlen Kopf, während der Puls raste
Den clever gewählten Auftakt des Abends hatte Poga für sich gehabt. Das Vorspiel zu „Tristan und Isolde“, das später noch den Schostakowitsch durchwehen sollte, war nicht nur ein netter historischer Schlenker nach Riga, zu einer kurzen Kapellmeister-Karriere-Etappe in Wagners Lebenslauf. Es war auch eine Studie in Aufmerksamkeit und Eindringlichkeit, bei der Poga kühlen Kopf bewahrte, während gleichzeitig der Puls raste und er das Suchtpotenzial dieser Musik andeutete, ohne es mit mehr einlösen zu dürfen.
Von Andris Poga wird man – dieser Abend zeigte es – wohl noch einiges erwarten dürfen, bei welchem der örtlichen Orchester auch immer. Bei Elena Bashkirova – dieser Abend zeigte auch das – sollte man sich seine jeweiligen Erwartungen lieber gut einteilen.