Hamburg. Kent Nagano dirigiert Joseph Haydns „Missa in Angustiis“ ergreifend im Großen Saal. Auch NDR- und WDR-Chor leisten Großes.

Das Publikum solle sich die Musik seines neuen Stückes „Waves“ nicht allzu bildlich beschreibend vorstellen, hatte Pascal Dusapin vorab mitteilen lassen. Tatsächlich rauscht an diesem Sonntagmorgen keine Brandung durch die Elbphilharmonie, als Kent Nagano und das Philharmonische Staatsorchester das Stück zur Uraufführung bringen. In einem anderen Sinne aber hat der Höreindruck durchaus mit einer Wellenform zu tun. Verwebt der Komponist doch verschiedene Klangbilder so ineinander, dass sich die Spannung immer wieder auf- und abbaut, ohne je sich im Fortissimo vollkommen zu entladen oder an den leisen Stellen gänzlich zu verebben. Das Spektrum reicht von Streicher-Tremolo mit Glöckchenklang bis zu vollem Schlagwerk einschließlich Donnerblech und Tamtams, Piccolo und messerscharfem Blech.

„Duo für Orgel und Orchester“ hat Dusapin das Stück untertitelt. Die Solistin Iveta Apkalna hat eher selten exponierte Passagen, meist ist die Orgel in den Orchesterklang integriert und trägt ihr Kolorit zu Dusapins feinen Farbspielen bei. Eine erzählende Struktur weist „Waves“ als Werk des 21. Jahrhunderts zwar nicht auf, aber Dusapin erzeugt eine Vielzahl von Stimmungsnuancen. So klingt heutige Musik, die nicht nur für ein paar wenige Eingeweihte gemacht ist, sondern zugänglich sein will, ohne beliebig oder allzu schlicht zu wirken.

Arg zugänglich ist Apkalnas Zugabe. Der Lette Aivars Kalejs hat etwas zu viel Zucker in die Arpeggien gerührt. So wird seine Toccata über den Choral „Allein Gott in der Höh sei Ehr“ eine Art Wiederauflage von Gounods „Ave Maria“.

Nagano lässt Haydns Musik direkt sprechen

Ohne jeden Glaubenskitsch, dafür von tiefem Ernst ist Haydns „Missa in Angustiis“ (wörtlich „Messe in Zeiten der Bedrängnis“) nach der Pause. Wie weit ist dieses Werk entfernt von den hastig hingeworfenen Gebrauchs-Messen jener Zeit! Für jeden der Sätze findet Haydn ausgesprochen persönliche, mitunter eigenwillige Melodien und Strukturen. Nagano wiederum mag zwar nicht als Haydn-Experte gelten, aber er hat einfach den Dreh heraus, die Musik in ihrer Innigkeit direkt zum Hörer sprechen zu lassen, indem er auf ihre Wirkung vertraut, statt sie mit Effekten zu überladen. Alles atmet, hat an den richtigen Stellen Zeit. Wenn die Streicher auf Vibrato nahezu völlig verzichten, wirkt das einfach natürlich statt manieriert.

Der NDR Chor und der WDR Rundfunkchor fügen sich mühelos zu einem ziemlich großen, aber wunderbar homogenen und beweglichen Ensemble. Das Quartett der Gesangssolisten mischt sich eingangs noch nicht perfekt in den Klangfarben, findet sich aber. Ohnehin ist das Stück ein Fest für die Sopranistin Katharina Konradi. Ihre Stimme fließt nur so auf dem Atem, die Koloraturen tropfen und perlen hinreißend. Und wenn Nagano zwischen einzelnen Sätzen Hände und Kopf sinken lässt, dann ist der ganze Saal vereint in einer andachtsvollen Stille, wie man sie an diesem Ort nur selten erlebt.