Hamburg. Erst war Geduld gefragt, doch als die Diva auf der Bühne stand, zog sie das spärliche Publikum in den Bann – für 80 Minuten.

Vielleicht müssen Diven ein solches Gehabe an den Tag, oder besser: an den späten Abend legen, wenn sie ihrem Ruf gerecht werden wollen. Wer glaubt, das einzige Deutschlandkonzert von Ausnahmesängerin Mariah Carey beginne in der Barclaycard Arena einigermaßen pünktlich um 20 Uhr, muss sich lange in Geduld üben.

Zuerst müht sich ein DJ am Pult, die nur rund 3500 Besucher in der spärlich besetzten Halle – Oberränge komplett abgedunkelt, die Hälfte der Logen und viele Sitzreihen bleiben leer – in Schwung zu bringen. Nach 45 Minuten verlässt er die Bühne. Nach einer weiteren Dreiviertelstunde ist es dann um 21.30 Uhr wirklich soweit: Auftritt Mariah Carey in einem goldenen Glitzerkleid, das sie noch dreimal an diesen Abend gegen andersfarbige Outfits tauschen wird, die sich aber immer bestens von den Silberanzügen der vier athletischen Tänzer, die ständig um die Sängerin herumfliegen, absetzen.

Das Warten auf Mariah Carey hat sich gelohnt

Das Warten auf die Pop-Ikone aber, so viel steht bereits nach den ersten drei Songs fest, hat sich allemal gelohnt. Gleich der erste Song „A No No“ von ihrem aktuellen und 15. Album „Caution“, mit dem sie jetzt auch auf gleichnamiger Welttournee ist, gibt die neue, alte Richtung vor. Eine Kompanie von Komponisten und Produzenten hat mit Mariah Carey zusammen ein solides R’n’B-Soul-Album kreiert.

Es geht um Rhythmus und Blues, und davon hat die 49 Jahre alte Songschreiberin immer noch mehr als genug. Und dazu diese Stimme, mit der sie nach wie vor alles in Grund und Boden zu singen vermag – unterstützt von drei Backgroundsängern und einer soliden fünfköpfigen Band um den taktgebenden Schlagzeuger Josh Baker.

Bei „Emotions“, ihrem umjubelten vierten Song an diesem Abend, tritt Mariah Carey den Beweis an, dass sie nach wie vor beinahe mühelos durch die Oktaven zu spazieren vermag. Bis hoch in das sogenannte Pfeifregister, wo sie Töne produziert, die eher ein Hauch sind, der über die Stimmbänder geht. Die französische Sängerin Camélia Jordana hat diese Gesangstechnik einmal ziemlich treffend beschrieben: „Das können eigentlich nur Delphine – und Mariah.“

Mariah Carey plaudert mit dem Publikum

Die sorgt mit ihrem stimmgewaltigen Auftritt und ihrer variablen Garderobe für einen kurzweiligen Abend, an dem die meisten Besucher schon nach dem ersten Song ihren Platz verlassen und dann bis zum Schluss durchtanzen. Allein oder zu zweit, bestens gelaunt und beschwingt. Mariah Carey, die sich am Beginn ihrer Karriere im Studio viel wohler gefühlt hat als auf der Bühne, ist heute eine gut gelaunte Gastgeberin.

Mal lässt sie sich ganz oben auf der Treppe während eines Songs in aller Ruhe von ihrem männlichen Make-up-Experten nachschminken, dann wieder plaudert sie mit dem Publikum, wenn sie ihre älteren Titel spielt: „Erinnert ihr euch noch an den Song?“ Na klar, „Always Be My Baby“!

Mariah Carey holt ihre Kinder zu sich auf die Bühne

Passenderweise holt sie anschließend auch noch ihre beiden kleinen Kinder für ein kurzes musikalisches Gastspiel auf die Bühne, die achtjährigen Zwillinge Monroe und Moroccan. Sie schmiegen sich an die Beine ihrer Mutter und dürfen dann beweisen, dass sie schon ein wenig Deutsch sprechen können. „Dankeschön“, ruft Moroccan ins Mikrofon. „Bitteschön“, antwortet seine Schwester unter dem Applaus des gerührten Publikums.

Ihre Mutter hatte nie ein Problem damit, ihr Leben öffentlich zu machen. Wer auf dem Globus mehr als 200 Millionen Platten verkauft hat, wer fünf Grammys gewonnen und 18 Nummer-eins-Hits in den USA hatte, der weiß, dass die ganze Welt an seinem Leben teilnimmt.

Aber Mariah Carey hat immer selbst bestimmt, wann sie den Menschen mitteilt, dass sie eine Beziehung beendet, Kinder bekommt oder unter einer bipolaren Störung leidet.

22 Songs in 70 Minuten zeigen die ganze Bandbreite der Diva

Ist das der Preis, wenn man mit solch einer Stimme gesegnet ist und solche enorme Aufmerksamkeit bekommt wie Mariah Carey? Als Tochter der irischen Opernsängerin und Gesangslehrerin Patricia Hickey hat sie angeblich schon im Alter von drei Jahren über Partituren gesessen, als Singer-Songwriterin besuchte sie später die Harborfields High Scool in Greenlawn, New York. 1991 begann die Zusammenarbeit mit Produzent und Komponist Walter Afanasieff, mit dem sie Welthits wie „All I Want For Christmas Is You“ schrieb, 1994 auf dem Album „Merry Christmas“ veröffentlicht, das sich 15 Millionen Mal verkaufte.

Und dann ist da noch „Hero“, diese wunderschöne Ballade, die die beiden einst eigentlich für Gloria Estefan und als Titelsong für den gleichnamigen Film mit Dustin Hoffmann schrieben. Mit diesem Ohrwurm entlässt Mariah Carey ihre überaus glückliche Fangemeinde nach 80 Minuten und 22 Titeln, die die ganze Bandbreite dieser Frau gezeigt haben.