Hamburg. Der zweite Auftritt der amerikanischen Elektro-Country-Band geriet zum Triumph. Beim ersten Mal war das noch ganz anders.

Künstlerische Neuerfindung und ästhetische Renovierung des Sounds? Immer heikel. Man könnte ja langgediente Fans verprellen. Immerhin trägt Kurt Wagner immer noch Flanellhemd und Basecap. Der Chef der amerikanischen Band Lambchop war früher mal Fliesenleger. Er sieht immer noch so aus, als würde er mit Handwerker-Kutsche unterwegs sein. Nashville, Tennessee. Da stammt er her. Dort kam die alternative Countrygruppe zur Welt, der er seit mehr als einem Vierteljahrhundert vorsteht.

Mit ebenjener Band gastierte Wagner, der in diesem Jahr 60 geworden ist, nun auf Einladung des Internationalen Musikfestes Hamburg im Großen Saal der Elbphilharmonie. Im ersten Teil des Konzerts spielte die sechsköpfige Band die acht Songs ihres neuen Albums „This (Is What I Wanted to Tell You)“. Und manch einer dürfte sich bei denen zwischen innerer Einkehr und, seltener, emotionalem Ausbruch bewegenden Stücken früh gewünscht haben, dass Wagner seinen brummigen Bariton nicht permanent durch den Vocoder jagen würde.

Idee von Bon Iver: Zwei Schlagzeuger sind besser als einer

Genau das tut der Musiker seit der vorletzten Platte „Flotus“. Lambchop mischen dem warmen Sound des Country nun die Kühle des Elektro bei. Konsequente Weiterführung dieser Idee des Elektrocountrys ist nun die Personalie Matt McCaughan. Der arbeitete viele Jahre mit Justin Vernon (Bon Iver) zusammen, der Computer und Folk so unwiderstehlich amalgamierte, dass er zum Liebling nicht nur aller Hipster wurde. Von Bon Iver brachte McCaughan die Idee mit, dass zwei Schlagzeuger besser sind als einer.

Und so trommelten auf der Bühne der Elbphilharmonie zwei Musiker. Was keinerlei Hinweis gab für die vorherrschende Lautstärke: Lambchop anno 2019, das ist mehr denn je allerentspanntester Barjazz, der natürlich gar kein Jazz ist, aber ähnlich lässig aus dem Ärmel geschüttelt wird. Wäre da nicht Autotune: Wagner sieht seine Stimme verstärkt als weitere Soundspur, nicht als Textträger. Das kann auch mal ermüden, ist jedoch ein souveräner schöpferischer Akt.

Der Relaunch seines Bandprojekts, der mit der neuen Platte nun abgeschlossen scheint, ist jedenfalls insgesamt gelungen: Pedal Steel, Saxofon und Loops, flirrende Offenheit, dazu Wagners textliche Streifzüge durch das Amerika der Gegenwart, mehr aber noch das eigene mäandernde Bewusstsein: Das ist originell und überzeugend.

Der spezielle hamburgische Kulturkampf

Womit man beim Publikum wäre, zu dem der scheu wirkende Wagner erstmals in der Verlängerung sprach. Verlängerung, Zugabe, zweiter Teil, die älteren, glänzenden Songs von „Mr M“ und „Nixon“: Da zeigte sich dann tatsächlich eine Band, die gerne in dieser Umgebung auftrat, die eine kleine Band wie Lambchop theoretisch auch einschüchtern könnte.

Vor knapp zwei Jahren war das mit der Spielfreude vielleicht auch schon so. Zumindest von der Tendenz her. In einem schicken neuen Konzerthaus die Pop-Vorhut zu geben, wird damals Lambchop gereizt haben. Das ist ja der Vorteil eines angesagten, verhältnismäßig großen Konzertorts, er erschließt im Zweifel eine neue Hörerschaft. Bei Lambchops Elbphilharmonie-Premiere war das aber dann eben nicht so: Im Februar 2017 verließen, sehr zum Verdruss der anwesenden Lambchop-Verehrer, Dutzende Konzertbesucher weit vor Ende der Veranstaltung den Saal.

Das war Ausdruck eines speziellen hamburgischen Kulturkampfs, der sich fortsetzen sollte. Wie benimmt man sich im neuen Konzerthaus? Wem gehört das Konzerthaus eigentlich? Den Musik- oder den Architekturliebhabern?

Diesmal kein Saaltourismus

Gemessen an den atmosphärischen Störungen damals war der zweite Lambchop-Auftritt in der Elbphilharmonie ein Triumph. Die Band musste für ein zweites Encore zurück auf die Bühne, was keineswegs üblich ist auf ihrer aktuellen Tournee. Sollte es allerdings tatsächlich noch Besucher gegeben haben, die hemmungslos Saaltourismus betreiben, dann waren es nur wenige. Akustik-Prüfern – um die andere Elbphiharmonie-Debatte seit Inbetriebnahme des Renommierprojekts zu nennen – könnte indes aufgefallen sein, dass elektrisch verstärkte Musik maximal eine elbphilharmonische Kann-Angelegenheit ist und keine des Muss.