Hamburg . Der Entertainer bringt die Hamburger zum Singen – und Denken. Dann verrät er den Titel des besten Lieds, das er geschrieben hat.

„Tumult“ heißt das aktuelle Album von Herbert Grönemeyer, und es ist auch der Titel der laufenden Tournee. Doch das erste von zwei ausverkauften Konzerten beginnt am Sonntag in der Hamburger Barclaycard Arena eher ruhig. „Sekundenglück“ steht am Anfang der Setliste mit ihren mehr als 30 Songs. Es ist mit seinem orchestralen Beginn kein typischer Auftakt für so einen großen Abend, aber es enthält einen zentralen Begriff von Grönemeyers Gedankenwelt. Immer wieder hat er über das Glück nachgedacht, hier reduziert er es auf die „einzigartigen Tausendstel Momente“. Die Zeile „Der Frühling bricht sich in mir Bahn“ zeigt Grönemeyers positive Einstellung zum Leben.

Das Publikum folgt diesem Ausnahme-Entertainer von der ersten Nummer an. Spätestens als „Kopf hoch tanzen“ aus den Lautsprecherboxen tönt und Grönemeyer in seinen weißen Turnschuhen kreuz und quer über die Bühne hetzt, erreichen auch seine 12.000 Fans Betriebstemperatur. Vier der ersten fünf Stücke sind vom neuen Album.

Grönemeyer versetzt Fans in Rausch

Dann geht es erst einmal zurück in Grönemeyers Erfolgskarriere. „4630 Bochum“, erschienen 1984, und „Ö“ aus dem Jahr 1988 brachten den Durchbruch für den Sänger aus dem Ruhrpott. „Bochum“, „Männer“ und „Was soll das“ sind Klassiker des Deutsch-Pop geworden. Jeder in der Arena kennt den Text auswendig, entsprechend lautstark wird er mitgesungen. Immer noch entfachen diese Songs eine Euphorie und versetzten die Grönemeyer-Fans in einen Rausch. Die achtköpfige Band, mit der Grönemeyer seit ewigen Zeiten zusammenspielt, spielt diese Hymnen als fetten Stadionrock im Geist der 80er-Jahre.

Für viele der Generation Ü50 sind diese Nummern ein Stück Nostalgie, an das man sich gern erinnert. Herbert Grönemeyer ist inzwischen 62 Jahre alt, auf der Bühne springt er immer noch herum wie vor 30 Jahren. Wobei seine Tanzbewegungen nicht eleganter geworden sind. Aber das erwartet auch niemand.

Wichtiger sind Grönemeyers Haltung und seine politischen Ansichten. „Bist du da, wenn zu viel Gestern droht / Wenn wir verrohen, weil alte Geister kreisen?“ fragt er in „Bist du da?“ Schon mit seinem zweiten, sehr druckvollen Song drückt er sein Unbehagen über die populistischen Strömungen der Gegenwart aus. Noch deutlicher wird er später bei „Fall der Fälle“. „Es bräunt die Wut, es dünkelt / Der kleine Mob macht rein“, singt er und spricht vom „Bodensatz, der nie schläft“ und von dem „Virus, der sich in die Gehirne frisst“. Unter einer YouTube-Version des Songs haben Nazis und Rassisten schlimme Kommentare hinterlassen. „Sing in Afrika und verkauf dort deine Kunst“, schreibt einer, „Schäm dich, du Verräter“ ein anderer.

Grönemeyer stellt sich Rassisten entgegen

Ein weiterer Netz-User mit dem Decknamen „Horst Wessel“ (und einem Bild des Nazis) beschimpft Grönemeyer als „Systemhure“. Doch der Künstler stellt sich diesen Rassisten entgegen – in jeder Talkshow, in jedem Interview, in jedem Konzert. „Keinen Millimeter nach rechts“, ruft er in den Saal und bekommt viel Beifall dafür. Mit dieser Haltung ist der inzwischen in Berlin lebende Künstler zum bedeutendsten und erfolgreichsten Popsänger in Deutschland geworden.

Es sind nicht nur seine Überzeugungen, die ihn populär gemacht haben, sondern auch seine Fähigkeit, Gefühle auszudrücken. Grönemeyer hat ergreifende Liebeslieder geschrieben, die sich im Repertoire wiederfinden wie „Halt mich“ oder das aktuelle „Mein Lebensstrahlen“. „Das ist das beste Lied, das ich geschrieben habe. Allerdings stehe ich mit der Meinung ziemlich alleine“, sagt er.

Durch alle Phasen der Karriere

Kaum ein Künstler hat seine Trauer ergreifender in Worte kleiden können wie er es nach dem Tod seiner Frau Anna mit „Mensch“ und „Der Weg“ getan hat. Alle diese Lieder finden sich auf der Setlist der „Tumult“-Tour und lassen die 12.000 unten im Parkett und oben auf den Rängen feiern. Zehn neue Songs gehören zum Programm, aber Grönemeyer ist durch alle Phasen seiner Karriere gegangen und hat zu den Gassenhauern verschiedene Songs herausgepickt, die länger nicht mehr auf dem Programmzettel standen wie „Fisch im Netz“ vom Album „Chaos“ oder „Musik nur wenn sie laut ist“ von „Gemischte Gefühle“.

Die Songs werden ohne großen Firlefanz präsentiert. Für den Sänger ist ein Laufsteg in den Saal gebaut, auf dem er joggen kann und der ihm ermöglicht, mit vielen Fans in Kontakt zu kommen und sie zum Mitsingen zu animieren. Auf Videoleinwänden werden Detailaufnahmen projiziert, sodass auch Zuschauer im Oberrang das Gefühl bekommen, ihrem Idol nahe zu ein. Sänger und Band sind Mittelpunkt dieses Konzertes, an dem Herbert Grönemeyer sich verausgabt, bis der Schweiß in Strömen fließt.

Aber auch das ist eigentlich nichts Neues für die Anhänger von „Her-bie!“, wie immer wieder skandiert wird. Grönemeyer arbeitet Popmusik. Er will, dass das Publikum im Saal mehr als nur einen kurzen Glücksmoment empfindet und auch, dass es nachdenkt. Konzerte von Herbert Grönemeyer sind wie ein großes musikalisches Geschenk, bei dem man sicher sein kann, dass es gefallen wird. Oder wie es in „Mensch“ heißt: „Momentan ist richtig. Momentan ist gut.“