Hamburg. Der amtierende Platzhirsch unter den deutschen Bands bat zum eher intimen Konzert in den Keller und verzauberte das Publikum.
Also gleich voller Kontrast, schmaler Mann, höllenbreite Stimme: „Die Vögel scheissen vom Himmel“, röhrt Henning May die erste Zeile des Songs „Marie“ durch den Club. Die Gitarre an der Brust bekommt sanfte Schläge, die Blicke der Fans werden entzündet, die Nackenhaare gegen den Strich gebürstet. So sieht es aus, wenn sich der amtierende Platzhirsch unter den aufstrebenden deutschen Bands für höhere Aufgaben warmspielt.
Im Mojo Club haben Annenmaykantereit am Dienstagabend zum eher intimen Konzert vor dem großen Sporthallen-Auftritt im März geladen - im Gepäck das neue Album „Schlagschatten“, ein Blick durch das Kaleidoskop aus Rausch und Sehnsucht von der Volljährigkeit bis Anfang Dreißig. Einige sehr junge Mädchen mit bemalten Schildern sind genauso gekommen wie die Studentensemester mit Brillen und die älteren Kaliber an der Bar im Mojo-Keller.
Annenmaykantereit Wie um vier Uhr morgens auf der WG-Party
„Wir sind Annenmaykantereit und freuen uns hier zu sein, verdammte Scheiße“, flucht Henning May noch schnell zwischen Opener und dem nächsten Song. Auch beim Reden rußt seine Stimme, als wäre er bereits vor 55 Jahren in einem Aschenbecher zur Welt gekommen Die vier Wuschelköpfe sehen noch immer wie eine Band aus der Pop-AG eines Gymnasiums aus, aber haben jetzt neben dem plötzlichen Erfolg auch die Routine. Mit Unterstützung der Saalakustik perlt jeder Ton, drückt jeder Basshieb, dass es die Fans früh in Ekstase reißt.
Als ein tatsächlicher Schulkumpel mit Namen „Ferdi“ und Trompete als Gast auf die Bühne kommt, bricht ein Gejohle aus, als hätte sich der Cliquenliebling gegen vier Uhr morgens auf einer WG-Party endlich zu einer musikalischen Einlage überwunden. Als Straßenmusiker, die auch mal plötzlich einen Hörsaal für ein Konzert stürmten, sind Annenmaykantereit per YouTube berühmt geworden. Die neuen Songs sind inzwischen fein austarierte Popwerke, „Jenny Jenny“, „Weiße Wand“. Trotzdem behält das Konzert zumindest in der kleineren Halle den Charme des Spontanen.
Direkte Gefühle, unverschleiert und ohne zweite Ebene
Wer eine zweite Ebene und tiefere Botschaften in den Songs sucht, ist dabei allerdings fehl am Platz. So reimt May in der Drogen-Ballade „Schon krass“ darauflos: „Meine Freunde haben alle gezogen / Ich hab' gebaut und geraucht und gelogen“. In schlechten Momenten der Band springt einen die Banalität an, dass es schwer auszuhalten ist. An ihren Höhepunkten liegt hier aber auch ihre große Stärke: „Barfuß am Klavier“, „Länger bleiben“ oder „Sieben Jahre“ zeigen, wie ungefilterte Gefühle kleine Meisterwerke an Liedern schaffen.
Die Besucher nehmen nach 90 Minuten und einigen Tanzeinlagen („21, 22, 23“) noch den Hit „Pocahontas“ mit - „Ich geh heut nicht mehr tanzen“, ist der ironisch-schwitzende Schlussakt in der Zugabe. Die überschaubare Menge an Besuchern geht verzaubert heim, die Generalprobe war ein Erfolg. Die so ganz und gar nicht wohnzimmerhafte Sporthalle und ihr berüchtigter Matschklang werden jedoch für die großen Gefühle ein ganz anderer Brocken.