München/Hamburg. Die großen Erfolge „Im Westen nichts Neues“ und „Das Leben der Anderen“ waren historische Stoffe, die gern gesehen sind bei der Academy. Mit dem neuen Kandidaten geht die deutsche Jury einen anderen Weg.

Der Film „Das Lehrerzimmer“ von Ilker Çatak soll für Deutschland ins Rennen um den Auslands-Oscar gehen. Das Schuldrama soll es dem Kriegsfilm „Im Westen nichts Neues“ im Idealfall nachmachen und die Trophäe ein zweites Mal in Folge nach Deutschland holen.

„Mit "Das Lehrerzimmer" nominiert die Jury einen hochaktuellen, universellen Kinofilm, dem man sich nicht entziehen kann“, heißt es in der Jurybegründung. Weiter teilte German Films, die Auslandsvertretung des deutschen Films, am Mittwochabend in München mit: „Ilker Çatak nimmt den Mikrokosmos Schule als Bühne gesellschaftlicher Erosionsprozesse im postfaktischen Zeitalter.“

„Hochaktuelle“ Filme aus Deutschland haben es allerdings traditionell nicht ganz leicht bei der Academy in den USA, die bei deutschen Filmen vor allem historische Stoffe zu schätzen scheint.

Die Wahl des deutschen Beitrags ist nur eine Vorstufe im Rennen um den Auslands-Oscar. Später wird die Shortlist aus den internationalen Bewerbern bekanntgegeben. Aus dieser Shortlist werden wiederum die fünf nominierten Filme gekürt. Die Verleihung der Oscars findet dann am 10. März 2024 statt.

Auswahl-Strategie änderte sich zeitweise

Mit Ausnahme von „Toni Erdmann“, der für die Oscar-Verleihung 2017 nominiert war, befassten sich alle deutschen Beiträge, die es in jüngerer Zeit schlussendlich unter die fünf Nominierten schafften, mit der jüngeren oder jüngsten deutschen Geschichte: „Das weiße Band“ von Michael Haneke trat bei der Oscar-Verleihung 2010 an, ein Jahr zuvor war „Der Baader Meinhof Komplex“ von Uli Edel für den Auslands-Oscar nominiert gewesen.

Vor dem Riesen-Erfolg von „Im Westen nichts Neues“, der im März dieses Jahres neben dem Auslands-Oscar sogar noch drei weitere Oscars abräumte, hatte der letzte deutsche Erfolg in der Oscar-Kategorie bester nicht-englischsprachiger Film 15 Jahre zurückgelegen. Damals gewann Florian Henckel von Donnersmarcks Stasi-Drama „Das Leben der Anderen“. 2018 schickte die Jury von Donnersmarck sogar ein zweites Mal nach Hollywood mit seinem Film „Werk ohne Autor“ über Gerhard Richter. Seinen Oscar-Erfolg wiederholen konnte er aber nicht.

In den vergangenen Jahren dann änderte sich die Strategie dann zeitweise: 2019 entschied die Jury sich für das Sozialdrama „Systemsprenger“, ein Jahr danach wurde das Polit-Drama „Und morgen die ganze Welt“ zum Kandidaten gekürt. Maria Schraders futuristische Tragikomödie „Ich bin dein Mensch“ schaffte es zwar auf die Shortlist, aber nicht in die Endrunde. Den großen Erfolg gab es dann erst wieder mit einem Drama über den Ersten Weltkrieg.

„Das Lehrerzimmer ist ein Meisterwerk“

Doch für 2024 setzt man nun wieder auf Aktuelles: Der Film von Regisseur Çatak erzählt von einem Konflikt an einer Schule, der aus dem Ruder läuft. Im Zentrum steht eine Lehrerin (Leonie Benesch), die eine Diebstahlserie an ihrer Schule aufklären will und sich entscheidet, dafür heimlich eine Kamera im Lehrerzimmer mitlaufen zu lassen.

„Seine präzise geschriebene Geschichte inszeniert Çatak meisterhaft als Scheitern von Verständigung. Atemberaubend spielt Leonie Benesch eine Idealistin, die beim Versuch, alles richtig zu machen, immer weiter unter Druck gerät“, urteilte die Jury über den in Hamburg gedrehten Film.

„"Das Lehrerzimmer" ist ein Meisterwerk und komplett in Hamburg entstanden. Wir sind unglaublich stolz auf das Team“, sagt Helge Albers, Geschäftsführer der Moin Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein.

Çatak, der an der Hamburg Media School (HMS) studierte und für seinen Abschlussfilm „Sadakat“ 2015 mit dem „Studierenden-Oscar“ in Gold ausgezeichnet wurde, gewann mit seinem „Lehrerzimmer“ beim Deutschen Filmpreis auch schon die Goldene Lola für den besten Spielfilm und ist für die European Film Awards nominiert.

„Wir sind zutiefst dankbar für diese Chance und freuen uns von Herzen“, teilten Regisseur Çatak und Produzent Ingo Fliess nach der Entscheidung mit. „Gleichzeitig aber sind wir uns der Verantwortung sehr bewusst, den deutschen Film auf der internationalen Bühne zu repräsentieren.“