Sehr sehenswerter Dokumentarfilm von Dominik Graf über Schriftsteller, die im Dritten Reich blieben: „Jeder schreibt für sich allein“.

Klaus Mann war 1933 wie alle Exilanten tief betroffen, als der von ihnen so verehrte Gottfried Benn sich offen zum Nationalsozialismus bekannte. Aus seinem Fluchtort Sanary-sur-mer schrieb er ihm empört einen Brief.

Benn parierte ihn öffentlich und sprach den Exilanten in ihren „Badeorten“ das Recht ab, die Vorgänge in Deutschland von außen beurteilen zu können. Benn ließ sich auf einen Pakt mit dem Teufel ein. Und war dann überrascht, als der Teufel diesen Pakt gar nicht wollte. 1938 wurde Benn selbst mit einem Schreibverbot belegt. Und zog sich verbittert zurück.

Eine assoziative Collage – und eine Reise in die innere Emigration

90 Jahre später sitzt Anatol Regnier in Klaus Manns kleinem Hotelzimmer und liest diese Texte. Das Dichterduell ist für ihn auch Familiengeschichte. Denn er ist der Sohn von Schauspieler Charles Regnier und Pamela Wedekind, die mit Klaus Mann verlobt war. Und seine Großmutter Tilly hatte nach dem Tod des Großvaters Frank Wedekind eine lange Liebesbeziehung mit Benn.

Regnier interessierte die Frage, wieso einige Dichter trotz der NS-Barbarei im Land blieben. Dazu durchforschte er Berge von Dokumenten und veröffentlichte 2020 sein Buch „Jeder schreibt für sich allein“.

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AuchDominik Grafstellte sich die Frage, als er zu der Zeit „Fabian“ verfilmte, den Roman von Erich Kästner, der 1933 als einziger die Verbrennung seiner Bücher miterlebte, aber nur in die innere Emigration ging. Mit der Entschuldigung, er wolle einen Augenzeugenbericht über diesen Staat schreiben. Was er aber nie getan hat.

Interessanter als die Blut-und-Boden-Autoren sind die, die sich durchmogelten

Graf tat sich dann mit Regnier zusammen, um dessen Buch auch Bilder zu geben. Dafür reist Regnier noch einmal ins Literaturarchiv in Marbach, wo er so lange recherchierte, nach Sanary sur Mer und an andere Orte, auch der der sogenannten Emigration. Graf ist immer mit der Kamera dabei und kommentiert aus dem Off.

Zahlreiche Viten werden so ausgebreitet. Von wenigen Blut-und-Boden-Autoren wie Frank Thieß oder Hanns Johst, die sich den Nazis aufs Scheußlichste andienerten. Aber interessanter sind die vielen, die versuchten, sich durchzumogeln.

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Anatol Regnier bei seinen Studien im Seelenraum der deutschen Literatur, dem Literarurarchiv in Marbach.
Anatol Regnier bei seinen Studien im Seelenraum der deutschen Literatur, dem Literarurarchiv in Marbach. © Piffl | l

Wie eben Kästner, der mit Schreibverbot belegt war und doch das Drehbuch für „Münchhausen“, den Film zu 25 Jahre Ufa, schrieb. Oder Hans Fallada, der sich nach Mecklenburg zurückzog. Auf sein Buch über den Widerstand einfacher Berliner, „Jeder stirbt für sich allein“, spielt der Titel von Buch und Doku an.

Eine Frage der Haltung, die heute wieder von großer Aktualität ist

Es ist eine mit 167 Minuten sehr lange Doku und assoziative Collage, in der auch der Schriftsteller Florian Illies, der Filmproduzent Günter Rohrbach oder der kürzlich verstorbene Historiker Christoph Stölzl zu Wort kommen. Manchmal scheint der Film auszuufern und kommt doch wieder auf den Punkt. Eine reiche und nie langweilige Spurensuche, bei der manch beliebter Autor in ganz anderem Licht erscheint.

Wie sicher kann ein Mensch sich seiner selbst sein? Das ist die Frage, die hier erörtert wird. Und es wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die Zeitgenossen damals nicht, wie die Nachgebornen, wissen konnten, wie der Nationalsozialismus enden würde. Wie hätte man selbst reagiert, das muss und soll man sich selbst fragen. In Zeiten, da die Gesellschaft wieder bedrohlich nach rechts driftet, keineswegs eine spekulative, sondern hoch aktuelle Frage.

Dokumentarfilm, Deutschland 2023, 167 min., von Dominik Graf, mit Anatol Regnier, Florian Illies, Günter Rohrbach, Christoph Stölzl