Mit der Dokumentation „Übriggebliebene ausgereifte Haltungen“ über die Band Die Goldenen Zitronen hat Regisseur Peter Ott ein spannendes Stück Hamburg vorgelegt. Es wirft nicht nur einen (Rück-)Blick auf die Kombo, die schon in den Achtzigern gegen die engstirnige Symbolik der Punkszene rebellierte, sondern zeigt auch den Wandel des Kollektivs hin zum Agitprop-Mix zwischen Jazz und Elektro.
"Wahrscheinlich konnte ich am Schlechtesten mit Geld umgehen und hatte die meiste kleinkriminelle Energie", begründet Daniel Richter, warum er in den Gründungsjahren 1984/85 Manager der Goldenen Zitronen war. Der Filmregisseur Peter Ott interviewt den Maler in dessen Atelier, vor seinen dunklen, fluoreszierenden Großgemälden.
Szenen und Aussagen wie diese sind es, die den Dokumentarfilm "Übriggebliebene ausgereifte Haltungen" sehenswert machen. Denn in solchen Momenten verdichtet sich, was den Geist des Hamburger Musikerkollektivs ausmacht. Stets wähnt sich der Hörer, Betrachter, Rezipient auf der Kante zwischen Kalauer und Ernsthaftigkeit. Wie ist das gemeint? Eine Frage, die sowohl der Film als auch das Werk der Goldenen Zitronen auslöst. Eine Kunst, die nicht alsbald nach Harmonie strebt, sondern die die Verwirrung, das Kritische, das Nicht-Einverstanden-Sein konstant brodeln lässt. Ein subversives Flimmern.
Wenn als Kulisse Richters Bilder auftauchen, bilden seine Tumult-Szenarien den passenden Subtext zur Musik der Zitronen die Hafenstraße, der Kampf um Häuser und Autonomie scheinen da als Referenzpunkte der gemeinsamen Geschichte durch, vielmehr noch wird aber ein allgemeingültiges Unbehagen spür-, doch nicht greifbar. Und genau das ist das Prinzip der Zitronen: sich nicht plump vereinnahmen zu lassen. Der Spaß am und die künstlerische Notwendigkeit von Rollenspiel verdeutlicht bereits ein stilistischer Kniff des Films: Die Gründungsmitglieder und Masterminds, Schorsch Kamerun (Gesang) und Ted Gaier (Bass/Gitarre/Syntheziser), lassen ihr Gespräch über die Entwicklung der Band von zwei älteren Herren auf Gartenstühlen vortragen.
Der Sänger selbst ist in einer der ersten Einstellungen im Aufbruch begriffen, muss los, spricht nur kurz in die Kamera. Eine symptomatische Unrast. Das, was Daniel Richter in einer Szene "Selbstvergeudungsprinzip" nennt. Stets scheint es das Ziel der Goldenen Zitronen zu sein, sich selbst, vor allem aber Codes und Zeichen in Bewegung zu halten. Gegen allzu engstirnige Punk-Symbolik samt Uniform aus Irokesenschnitt, Lederjacke und Sicherheitsnadel rebellierte die Band in den 80er-Jahren, indem sie in einer Art Schlafanzug-Schlager-Look auftrat. Als sie mit ihrem Song "Am Tag, als Thomas Anders starb" Richtung Fun-Punk driftete, übte sie wiederum Protest im Protest, änderte ihren Kurs und überließ frühen Weggefährten wie den Toten Hosen die kommerzielle Spaßecke. An Angeboten indes mangelte es nicht. Der Film zeigt einen Brief des jungen Musikmanagers Tim Renner, der die Zitronen für die Plattenfirma Polydor als "Developing Act" aufbauen wollte. "Wozu hätten wir das machen sollen?" so die schlichte wie eindeutige Reaktion.
Ott arbeitet aber auch heraus, wie fortwährender Diskurs und Wandel Unverständnis innerhalb der Gruppe auslöste. Wie sich etwa Ale Sexfeind, Schlagzeuger von 1984 bis 1990, aus dem Kollektiv "rausgemobbt" fühlte, als eine inhaltliche und ästhetische Neuorientierung anstand. Die Zitronen wollten damals nichts weniger als "das Publikum austauschen", sprich: sie wollten nicht von den ihrer Ansicht nach falschen Fans beklatscht werden. Die Dokumentation verfolgt, wie der Sound nervöser wird, wie Kamerun eine Art hysterischen Proklamationsgesang entwickelt zu einem Agitprop-Mix zwischen Free-Jazz, Punk und Elektronika. Parallel vollzog sich, ausgelöst durch Anschläge wie in Hoyerswerda, eine zunehmende Politisierung. Die Lage des Landes, etwa die Doppelmoral in Migrationsfragen, kommentierten Stücke wie "Das bisschen Totschlag".
Ebenso, wie Songs und Artwork der Zitronen oftmals Collagen-Charakter haben, spielt auch Peter Ott viel mit Versatzstücken. Der Filmemacher schneidet historisches Material, Interviews mit Begleitern wie Diedrich Diederichsen, Zeitungs- und TV-Ausschnitte gegen Szenen, die die Band bei den Proben zu ihrem jüngsten Album "Lenin" zeigen. Auch wenn Ott die Chronologie ein ums andere Mal allzu krude durchläuft, ist sein Film doch vor allem eins: Ein spannendes Stück Hamburger Geschichte und Gegenwart.
Und wer sein Zitronen-Wissen noch vertiefen möchte: "Übriggebliebene ausgereifte Haltungen" läuft nicht nur in den Kinos an, sondern ist auch auf der DVD "Die Goldenen Zitronen Material" zu finden. Neben allen Musikvideos von 1987 bis 2006 enthält die Sammlung Bonusaufnahmen, etwa eine "Fast Forward"-Sendung mit Charlotte Roche, Interviews, die Bukarest-Reise der Zitronen sowie ein Rastplatztreffen mit den Toten Hosen. 230 Minuten subkulturelle Energie.
Übriggebliebene ausgereifte Haltungen. Dokumentation Deutschland 2007, 89 Minuten, ab 6 Jahren., Regie: Peter Ott, ab 8.11. täglich im 3001-Kino;
www.die-goldenen-zitronen.de
Bewertung
: sehenswert