Drama: “Der Baader Meinhof Komplex“ dokumentiert die wichtigste Dekade deutscher Nachkriegsgeschichte - aber mehr leistet der Film nicht

Das erste Medienecho verhallt, und Produzent Bernd Eichinger dürfte zufrieden sein: Seine PR-Inszenierung zum Start von "Der Baader Meinhof Komplex" ist erfolgreich; die Kinokasse wird klingeln. Der Spielfilm ist der aufmerksamkeitsstärkste des Jahres - und auch deshalb einer der wichtigsten.

Tatsächlich trägt die eindringliche Wucht vieler Bilder den umwälzenden Ereignissen des Deutschen Herbstes 1977 (die hier weder nacherzählt werden sollen noch können), seinem Nährboden und seiner Vorgeschichte Rechnung, wird die blutige Schneise des Terrors dokumentiert, die die Rote Armee Fraktion (RAF) mit unbeschreiblicher Brutalität in die bundesrepublikanische Geschichte schlug. Häufig kommt dabei die Handkamera (Rainer Klausmann, u. a. "Der Untergang") zum Einsatz, folgt den Schauspielern, gibt ihnen Freiräume, statt sie einzuengen. Sie macht den Betrachter unmittelbar zum Teil der von Polizisten niedergeprügelten Demonstranten, schickt ihn in die Kugelhagel, in denen viele RAF-Opfer starben, oder lässt ihn wie durch eine Lupe in die Gesichter der Protagonisten blicken.

Das erzeugt unheimliche Nähe und wird vordergründig dem Anspruch gerecht, mit dem Eichinger und Regisseur Uli Edel angetreten sind: das beeindruckende Standardwerk von Stefan Aust möglichst dicht an der Vorlage zu adaptieren. Sein (zuerst 1985 und jetzt in einer erweiterten Neufassung erschienener) "Baader Meinhof Komplex" schafft den schwierigen Schritt vom Sachbuch zur Literatur; Aust macht in dem 1000-Seiten-Werk aus einer nahezu vollständigen Faktensammlung mit guter, nicht effekthaschender Dramaturgie, schnörkelloser Sprache und kenntnisreicher Einordnung der Taten und Tatsachen in große Zusammenhänge einen hochspannenden Thriller, sofern man im Zusammenhang mit dem Terror-Sujet überhaupt diese Unterhaltungskategorie verwenden will und darf.

"Der Baader Meinhof Komplex" ist also eine Literaturverfilmung - aber eine mit Schwächen. Denn mit einer - wegen der Stofffülle zwangsweise unvollständigen - Blaupause kann es im Kino nicht getan sein. Die große narrative Linie fehlt ebenso wie ein Führer durch die Faktenflut; am Ende bleibt ein seltsam belangloses Nach-, Neben- und Miteinander der historischen Haltepunkte, ein letztlich hilf- und haltungsloser Film. Inszeniert entgegen dem ursprünglichen Plan streckenweise eben doch als spannendes, finessenreiches Action-Genrekino, wenngleich mit einem ausgezeichneten Ensemble, das einige der deutschen Stars vereint.

Herausragend unter den Hauptdarstellern ist Martina Gedeck als Ulrike Meinhof; in ihrem Spiel manifestiert sich noch am ehesten das schwer Fassbare im Wesen der Originalfigur. Moritz Bleibtreu bleibt Moritz Bleibtreu - das ist das Problem des Andreas-Baader-Darstellers. Seine Interpretation des Terroristen bewegt sich nicht immer sicher auf dem Grat zwischen lächerlichem, proletenhaften Revolutionsclown und politisch getriebenem Agitator. Johanna Wokalek schließlich verleiht Gudrun Ensslin einerseits etwas Dämonisches, bietet aber andererseits Erklärungsansätze für die Frage, wie die Pastorentochter und Mutter eines Säuglings in die Radikalität abdriftete und letztlich die geistige Führung dieser RAF-Generation an sich riss.

Der "BaaderMeinhof Komplex" ist kein Opfer-, sondern ein Täterfilm - eine legitime Perspektive. Was er leisten kann, ist vor allem jüngeren Betrachtern eine grobe Übersicht der wichtigsten Dekade deutscher Nachkriegsgeschichte zu geben. Im besten Fall weckt er Interesse für die politisch-gesellschaftlichen Zusammenhänge dieser Zeit und regt zu weiterer Lektüre an. Denk- und Diskussionsansätze wie etwa "Stammheim" (1986) oder der TV-Zweiteiler "Todesspiel" (1997, siehe DVD-Tipps rechts) liefert er indes nicht.