Krautrock statt Kitsch: Das neue Flaming-Lips-Album “Embryonic“ zeigt seine Reize nicht sofort, wächst aber mit der Zeit.

Es ist so einfallsreich, als würde man einen Kölner „jeck“ nennen, wenn man sagt, dass die Flaming Lips anarchisch sind. Allerspätestens mit dem Gaga-Lowbudget-ScienceFiction-Werk „Christmas on Mars“, das Wayne Coyne mit seiner Band im vergangenen Jahr im heimischen Oklahoma drehte, sollte jedem klar geworden sein: Die Flaming Lips sind die seltsamsten Spielkinder der Popmusik.

Wenige Bands werden von ihren Verehrern so innig geliebt wie die Amerikaner, deren Opus magnum „The Soft Bulletin“ zu den geheimen Lieblingsplatten der Geschmäckler und Eingeweihten zählt. Genau die werden auch das neue Album der Flaming Lips schätzen. Vor allem deswegen, weil sich die Band wieder selbst gerecht wird und sämtliche vorher beschrittenen Wege unterläuft, auf unbekanntes Terrain ausweicht und alte Erfolsrezepte nicht mehr kennen will (genau deswegen tut sie also doch wieder das Erwartbare). Andere, die die Flaming Lips besonders aufgrund der poppigen Stücke auf den Platten „Yoshimi battles the Pink Robots“ und „At War with the Mystics“ schätzen lernten, werden mit dem durchaus schwierigen neuen Album „Embryonic“ erst einmal wenig anfangen können. Denn dieses ist ein siebzig Minuten langer und schwer verdaulicher Brocken, der konsequent jede Leichtigkeit negiert. Also kaum einen echten Popsong beinhaltet. „Embryonic“ ist eine Mischung aus Velvet Underground, Pink Floyd und Krautrock, irgendwie so etwas in der Art. Kann aber auch ganz anders sein.

Man muss diese Platte öfter hören als nur einmal. Dann entfalten Stücke wie „Convinced of the Hex“, „The Sparrow looks up a the Machine“ und „Watching the Planets“ einen Sog, dem man sich schwer entziehen kann. Früher haben sich die Flaming Lips Hasenkostüme angezogen, mit künstlichem Blut hantiert und Konfetti geworfen. Süß schmeckte dieser Kitsch, ihre Songs blubberten und waren der perfekte iPod-Soundtrack für Alices Ausflüge im Wunderland. Anno 2009 rutscht ihnen ein verzaubertes-verzauberndes Stück wie „I can be a Frog“ nur noch ausnahmsweise heraus. Ganz reizend übrigens die Geräusche, mit denen Yeah-Yeah-Yeahs-Sängerin Karen O diesen tollen Song bereichert.

Wayne Coyne nennt diesen Song, der im Zentrum der neuen Platte steht und keine zweieinhalb Minuten lang ist, einen Lovesong wie von Sonny und Cher. Der gute Wayne scheint derweil ein bisschen maßlos gewesen zu sein bei der Produktion von „Embryonic“. Manche der scheppernden und kakophonischen Anwandlungen sind redundant, wie überhaupt das Album insgesamt viel zu lang ist. Und wer glaubt, dass man mit Andrew VanWyngarden und Ben Goldwasser, die als MGMT-Musiker zurzeit wohl die Coolsten im ganzen Universum sind, ganz vorne ist, der wird ebenfalls eines besseren belehrt. Das Stück „Worm Mountain“, auf dem die beiden New Yorker zu hören sind, ist das schlechteste auf der ganzen Platte. So bleibt am Ende zu sagen, dass „Embryonic“ erst mit der Zeit wächst und seine Reize nicht sofort zeigt. Leicht machen wollten es die Flaming Lips ihren Hörern sowieso nie: Schließlich sind sie diejenigen, die einst das Album „Zaireeka“ aufnahmen. Das erschien als Vier-CD-Werk und wirkte im Sinne seiner Erfinder nur, wenn alle vier CDs gleichzeitig abgespielt wurden. So etwas nennt man dann wohl Größenwahn.

Flaming Lips – „Embryonic“ (Warner Music); www.flaminglips.com

Bewertung: hörenswert