Hamburg. Gesucht: Das Theater von Morgen. Das Festival Körber Studio Junge Regie 2017 offenbart viel Talent und könnte doch noch mutiger sein.
Wohin bewegt sich das Theater? Welche Stoffe werden wichtig? Welche Ästhetiken setzen sich durch? Fragen, auf die mancher sich eine Antwort beim alljährlichen Nachwuchsfestival Körber Studio Junge Regie im Thalia in der Gaußstraße erhofft. Das Festival gilt als so etwas wie der wichtigste bundesweite Seismograf in der Szene. Der derzeit am Thalia Theater arbeitende Gernot Grünewald, Körber-Gewinner 2011, ist nur ein Beispiel für eine von hier aus gestartete künstlerische Karriere.
„Jugend ist kein Verdienst, sondern ein Zustand“, so Thalia-Intendant Joachim Lux auf der Festival-Eröffnung. Die Verdienste, sie wollen noch erworben werden. Wer sich gut die Hälfte des Festivalprogramms aus elf Produktionen anschaut, bei dem fast alle renommierten deutschsprachigen Regie-Hochschulen vertreten sind – Finnland nimmt außer Konkurrenz teil, Wien und Berlin diesmal nur als Beobachter – bei dem verfestigen sich ein paar Eindrücke. Der Anteil weiblicher Regisseure wächst. Das Niveau ist erfreulich hoch. Klassisches Sprechtheater steht längst gleichwertig neben freieren Performance-Formen wie sie die Regieschulen in Hildesheim und Gießen lehren. Die Arbeit im Kollektiv wird auch in eher klassischen Stück-Inszenierungen immer wichtiger.
Wünschen würde man dem Nachwuchs mehr Mut zur Unerbittlichkeit, weniger Bravheit. Mehr Konsequenz und weniger Zielen auf Marktgängigkeit. Denn es ist ja das Privileg dieser jungen Künstler, sich ausprobieren zu dürfen und damit das Theater von Morgen zu kreieren.
Awes Talent ist bereits erkannt
Vielversprechend gelingt der Auftakt. Swen Lasse Awe ist gebürtiger Hamburger, hat an der Otto Falckenberg Schule in München studiert und inszeniert mit „Abraum“ des derzeit hoch gehandelten jungen Autors Wilke Weermann – der mit gleich zwei Stücken im Festival vertreten ist – seine erste Uraufführung. Eine destruktive Gemeinschaft Überlebender strauchelt darin durch eine postapokalyptische Welt, haust in einem Steinbruch, wohin „Das Zeug, das keinem nützt“ gebracht wird. Aus dem Strudel aus Gewalt und Unmenschlichkeit gibt es kein rettendes Entkommen. Awe inszeniert diese Düsternis sehr stringent, lässt seinen exzellenten Schauspielern Raum für Glanzmomente, während sie über die tolle, hölzerne Labyrinth-Bühne von Thilo Ullrich klettern. Awes Talent ist bereits erkannt. Ab der kommenden Spielzeit wird er als Regieassistent am Thalia Theater arbeiten.
Gelungen ist auch der Beitrag der Theaterakademie Hamburg. In seiner „Kleinstadtnovelle“ von Ronald M. Schernikau wagt Moritz Beichl eine Ästhetik, die absichtlich eher einer Probebühnensituation als einer fertigen Inszenierung gleicht. Diese Idee ist zwar nicht neu, gibt dem Stoff um einen Homosexuellen, der nach einer Affäre mit einem Mitschüler aus einer Kleinstadtgemeinschaft ausgestoßen wird, aber die nötige Lebensnähe.
Natürlich ist es für junge Theatermacher eine Chance, wenn sie noch während ihrer Ausbildung Kontakte zum Stadttheater erhalten. Das vorzeitige Denken in Verwertungszusammenhängen beflügelt allerdings selten die Kreativität und hat, wie im Fall von Heiner Müllers „Philoktet“ in der Regie von Mark Reisig von der Hochschule für Darstellende Kunst Frankfurt/Main, etwas von Auftragsarbeit.
Wie aus den 1980er Jahren gefallen
Der sperrige Heiner-Müller-Text erhält in dieser Inszenierung, die am Staatstheater Mainz lief, etwas seltsam Gestriges. Die Inszenierung mit einer tollen, rohen Industrieruinenbühne samt klaustrophobischem Turm, verstärkt das Monolithische des Textes und wirkt wie aus den 1980er-Jahren gefallen. Reisig findet nicht wirklich einen eigenen Zugriff. Dass auch eine einzelne Idee manchmal nicht ausreicht, um einen Abend zu tragen, zeigt sich auch in der Büchner-Adaption „Woyzeck – Ach, was die Welt schön ist!“ von Rebekka Bangerter von der Züricher Hochschule der Künste. Sie konzentriert sich auf die starke Raumidee einer Müllhalde, auf der sie die Abhängigkeiten der Figuren seziert. Problematisch gerät Tom Müllers sehr selbstbezogene freie Adaption der Liebesgeschichte von Patti Smith und Robert Mapplethorpe in „Horses“ von der Universität Mozarteum Salzburg.
Eine schlüssige eigene Stoffentwicklung präsentiert dagegen Caroline Creutzburg vom Institut für Angewandte Theaterwissenschaft Gießen in „Nerve Collection“. Umringt von Objekten wie Projektoren, Fernsehern und einer Lichtinstallation geht sie als Autorin und Performerin in Personalunion Phänomenen wie Introvertiertheit und Intoleranz nach. Das bewusst Ungelenke, aber auch die Härte, mit der sie sich langsam zu den – allzu ausführlich – ausgespielten Punksongs bewegt, hat etwas Zwingendes und häufig auch sehr Komisches.
Eine schöne Vielfalt der Stoffe und Formen ist erkennbar. Viel Können, Wissen, Engagement und Enthusiasmus und eine Menge guter Ansätze, die es nun – mit mehr Mut zum Risiko – zu entwickeln und zu fördern gilt.
Das Festival
Das Körber Studio Junge Regie bringt seit 2003 Studierende und Dozenten der zwölf Theaterhochschulen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammen. Ausgerichtet wird das Festival vom Thalia Theater, der Körber-Stiftung und der Theaterakademie Hamburg unter der Schirmherrschaft des Deutschen Bühnenvereins.
Am Ende bestimmt eine Fach-jury nach öffentlicher Sitzung über wird die beste Nachwuchsinszenierung. Dem Gewinner winken 10.000 Euro Preisgeld, mit dem er eine Arbeit an einem renommierten Stadt- oder Staatstheater oder in der Freien Szene verwirklichen kann.
In Hamburg und darüber hinaus bekannt gewordene Teilnehmer sind David Bösch, Jorinde Dröse, Roger Vontobel, Bastian Kraft, Jette Steckel und zuletzt der Theaterakademie- Absolvent Gernot Grünewald, der 2011 den Preis gewann und inzwischen regelmäßig am Thalia Theater inszeniert.