Hamburg. Farina Violetta Giesmann glänzt neben Joachim Bliese im Ohnsorg-Theater in der Bühnenversion von Til Schweigers Kinoerfolg.
Kinder sind oft ehrlicher und unverkrampfter als Erwachsene – auch im Umgang mit Krankheiten. Sie reden Klartext. „Mien Opa hett Alzheimer – kann sick nix mehr marken“, sagt die elfjährige Tilda. Steht vor der großen Bühnenschiebewand und erklärt op Platt, warum sich Großvater Amandus nichts mehr merken könne. Dessen überlebensgroßes Foto ziert die Wand, ehe sie sich in der Mitte öffnet und den Blick freigibt auf die Beerdigung von Amandus’ Gattin Margarethe. Bei der Rede auf seine gestorbene Frau mitsamt Namensverwechslung wird seine Verwirrung erstmals hör- und spürbar.
Es ist ein alles andere als leichter Stoff, der mit „Honnig in’n Kopp“ fortan auf dem Spielplan des Ohnsorg-Theaters steht, indes ein Thema, das viele Menschen bewegt. Nicht nur, weil 2014/15 mehr als sieben Millionen Kino-Besucher hierzulande „Honig im Kopf“ sahen, den von Hilly Martinek und Til Schweiger geschriebenen Leinwanderfolg mit Dieter Hallervorden als Großvater Amandus und Schweigers Tochter Emma als Enkelin Tilda.
Ein Stück be- und anrührendes modernes Volkstheater
Setzt im Ohnsorg-Theater meist schon beim Öffnen des Vorhangs der erste Beifall für das Bühnenbild ein, fiel er am Sonntagabend nach der plattdeutschen Erstaufführung für das zehnköpfige Ensemble und das Produktionsteam mit sechs Minuten umso länger und begeisterter aus. Die filmische Tragikomödie ist am Heidi-Kabel-Platz – trotz eines etwas zu langen ersten Teils – ein Stück be- und anrührendes modernes Volkstheater im besten Sinn. Allen voran ein Verdienst der beiden Hauptdarsteller Joachim Bliese und Farina Violetta Giesmann – ein neues Bühnen-Traumpaar aus zwei grundverschiedenen Generationen, vereint in einem Drei-Generationen-Stück.
Bliese meistert die große Herausforderung, als Opa Amandus oft abrupt zwischen Bewusstseinszuständen zu wechseln. Der 80 Jahre alte Charakterschauspieler, in Hamburg zuletzt im Vorjahr in der Kammerspiele-Produktion „Chuzpe“ als rührender Unruheständler zu erleben, verliert in seiner Rolle nie die menschliche Würde. Bliese bleibt selbst dann glaubhaft (und komisch), wenn er auf dem Sommerfest der karrierebewussten Schwiegertochter Sarah (Birte Kretschmer) und seines überforderten Sohnes Niko (Oskar Ketelhut) in seinen Laufschuhen mit Uniform auftritt und beim vorzeitig explodierenden Feuerwerk ruft; „Die Russen kommen.“ Mit „min lütte Principessa“, wie er Enkelin Tilda stets liebevoll nennt, büxt er nach Venedig aus. In der Stadt von Amandus’ einstigen Flitterwochen will Tilda ihrem Großvater geistig auf die Sprünge helfen: Beim Kinderarzt hat sie erfahren, dass es Alzheimer-Patienten helfen kann, altbekannte Orte aufzusuchen, anstatt in ein Heim eingewiesen zu werden.
Theater-Novizin Giesmann ist "eine echte Entdeckung"
Theater-Novizin Farina Violetta Giesmann, nicht nur für Ohnsorg-Intendant Christian Seeler „eine echte Entdeckung“, spielt ihre jugendliche Unbekümmertheit voll aus; der 21-Jährigen nimmt man ihre ein Jahrzehnt jüngere lebenslustige Figur ab, wenn sie in Latzhose und Ringelshirt als Tilda dasteht und auch als überzeugende Erzählerin mit Monologen op Platt die Handlung voranbringt.
Die hat Ohnsorg-Oberspielleiter Frank Grupe in der von ihm selbst stimmig übersetzten plattdeutschen Version bis auf wenige Szenen vor der Pause gekonnt inszeniert. Verzichtbar etwa und sprichwörtlich unter der Gürtellinie ist, dass Amandus, nachdem er im Haushalt schon mit Kaffeemaschine und Backofen (inklusive Sarahs Pumps) allerlei Unheil angerichtet hat, auch noch in den Kühlschrank anstatt ins Klo urinieren muss. Dass mag bei einem Teil des Kinopublikums Lacher garantieren, sorgt im Ohnsorg aber überwiegend für betretenes Schweigen.
Umso besser gelingt es Grupe im zweiten Teil, die Roadmovie-Elemente von „Honig im Kopf“ auf die Bühne zu transportieren. Ausstatter Siegfried E. Mayer zeigt nun hinter der Schiebewand nicht nur die Verlorenheit des kranken Amandus; auf einer Drehbühne und mit landschaftlichen Videoprojektionen (von Kolja Malik) nehmen sie das Publikum mit auf den Trip gen Venedig. Sandra Keck gibt als sächselnde Zug-Begleiterin allen Mitreisenden komödiantisch Zucker, gewährt mit Meike Meiners und Kolleginnen beiden Protagonisten Obdach im Nonnen-Kloster, und mit Horst Arenthold als Platt snackender Hamburger Toilettenmann Erdal (Achtung, Kalauer-Gefahr!) kann ein weiterer Publikumsliebling vor der Kulisse Südtirols humorvoll punkten. Bei der Flucht vor Familie und Polizei hat sich der vermisste Amandus längst in die Büx gemacht, doch Tilda steht ihm bei und fängt ihn immer wieder ein. Beide Darsteller bewahren die Balance zwischen Komik und Tragik bis zum Ende.
Alzheimer Gesellschaft informierte im Foyer
Das Thema Demenz inklusive Hilfe und Beratung war am Premieren-Sonntag im Ohnsorg auch abseits der Bühne präsent: Die Alzheimer Gesellschaft Hamburg e. V. informierte im Foyer. Und das Thema wird auf dem Spielplan des Theaters bleiben: Ende Januar hat im kleinen Ohnsorg-Studio „Tüddelig in’n Kopp – Als Oma seltsam wurde“ für Menschen ab fünf Jahren Premiere, eine Bühnenfassung nach einem Bilderbuch. Auch das kann modernes Volks-, Unterhaltungs- und Familientheater bieten.
„Honnig in’n Kopp“ wieder Di 4.10., 19.30, bis 11.11., Ohnsorg-Theater (U/S Hbf.), Heidi- Kabel-Platz 1, Karten zu 13,50,- bis 29,- unter T. 35 08 03 21; www.ohnsorg.de