Hamburg. Bastian Reiber, seit drei Jahren Ensemblemitglied am Schauspielhaus, wird an diesem Sonntag mit dem Boy-Gobert-Preis ausgezeichnet,

Bastian Reiber strahlt Selbstironie aus. Nicht nur auf der Bühne, auch jenseits von ihr. Rein äußerlich ist er eher Durchschnitt, kein klassischer Schönling, auch kein Romeo, eher ein Antiheld, ein melancholischer Clown. Die gekräuselten Lippen verraten Süffisanz und das Gespür für die Abgründe des Alltags. Am kommenden Sonntag erntet Reiber, seit drei Jahren Mitglied in Karin Beiers Schauspielhaus-Ensemble, dafür verdient den mit 10.000 Euro dotierten Boy-Gobert-Preis der Körber-Stiftung. „Er ist ein Theaterspieler, der sich furchtlos und mit ansteckender Lust in jede Rolle stürzt“, heißt es in der Begründung der Jury unter Vorsitz des Schauspielers Burghart Klaußner. Und da muss Bastian Reiber, der zuerst einmal ein hochsympathischer Mensch ist, dann doch herzlich lachen.

Denn schon immer begleitet ihn eine starke Bühnenangst. Gar eine ausgewachsene Soziophobie, also: „menschenscheu“ wurde ihm von einer Ärztin attestiert. Man glaubt es kaum, wenn man den 30 Jahre alten gebürtigen Mönchengladbacher auf der Bühne in seinem Element erlebt: der Komödie. „Die Komödie ist für mich eine Überlebensstrategie“, sagt er. Schon an der Schauspielschule in Leipzig nörgelten seine Lehrer, er würde es sich leicht machen, indem er sich in die Komödie rette. Doch so einfach sollte er nicht davonkommen. In der Folge musste Bastian Reiber endlos viele Tragödien spielen. Mal den König Kreon aus der „Antigone“, mal einen Bombenleger. Das habe er leidlich hinbekommen. „Das Umgehen mit der Angst ist der Motor“, sagt Reiber. „Auch geborene Rampensäue haben diese Albträume vom Textvergessen oder Nackt-auf-der-Bühne-Stehen. Entblößung kostet Überwindung.“ Wirklich peinlich sei ihm auf der Bühne aber kaum etwas.

Im dritten Jahr wendete sich das Blatt für den Jungschauspieler. Im Hauptstudium am Neuen Theater Halle traf er den Regisseur Herbert Fritsch. Ein echter Glücksfall, wie es im Theater wenige gibt. Ein Schauspieler und sein Regisseur: Reiber ist wie gemeißelt für das wilde, ekstatische, siedende Fritsch-Theater. Fritsch braucht Schauspieler, die sich für nichts zu schade sind. Und Reiber ließ sich von ihm bereitwillig antreiben, in seinen komödiantischen Exzessen noch weiter zu gehen, noch radikaler zu werden. Schon die frühen Zusammenarbeiten an der Berliner Volksbühne „Die spanische Fliege“ (2012) und „Murmel Murmel“ (2013) brachten ihm das Prädikat „Nachwuchsschauspieler des Jahres in der entscheidenden Kritikerumfrage der Zeitschrift „Theater heute“ ein.

An Beiers Schauspielhaus brillierte Reiber schnell als verliebter Horace in Molières „Die Schule der Frauen“ und zuletzt als eitler Fotografengeck Alfons Seidenschnur in Carl Sternheims „Die Kassette“, auch wenn die Premiere zunächst ein „Schock“ für ihn war. „Ich habe einen Witz gemacht, dann noch einen. Keiner hat gelacht. Ich dachte, gut, das geht jetzt zweieinhalb Stunden so weiter. So etwas lässt mich nicht kalt. Zum Glück wurde dann doch noch gelacht.“ Inzwischen habe sich die Inszenierung eingespielt und funktioniere präziser. „Die Leute lachen, wenn es konkret wird, wenn es stimmt. Wenn nicht, kriegt man umgehend die Rechnung präsentiert.“

Aus der Zusammenarbeit mit Fritsch, den er nun seit acht Jahren kennt, ist längst mehr geworden. Fritsch sei nicht nur Regisseur, sondern auch Mentor, Freund, Psychologe, gelegentlich so etwas wie der nervige kleine Bruder. Natürlich sprechen sie auch über Reibers Ängste. „Er kann das genau benennen. Er kennt das, weil er so lange gespielt und denselben Mist durchhat.“

Die Ärztin riet Reiber, regelmäßig vor einer größeren Gruppe von Leuten frei zu sprechen. Das tut er nun ohnehin fast jeden Tag. Allein 25-mal im Dezember. Manches an seiner Angststörung sei ihm noch immer rätselhaft, sagt er. „Es gibt diesen Moment auf der Bühne, an dem ich völlig angstfrei anarchisch loslegen kann. Und dann gibt es den anderen Moment, wie vor zwei Jahren, da sitze ich in der Garderobe und heule und will nicht auf die Bühne gehen.“ Vielleicht speist sich die Darstellungskunst des Bastian Reiber aus genau diesem Zwiespalt.

Nicht nur bei Fritsch überzeugte Reiber in der Vergangenheit, auch bei den Regisseurinnen Katie Mitchell und Karin Henkel und in Christoph Mar­thalers „Der Entertainer“. Mit seiner betonten Durchschnittlichkeit samt Kassenbrille, Überbiss und strähniger Prolomatte ergänzte Reiber darin glorios die Zirkuspferde Bettina Stucky, Josef Ostendorf und Marion Martienzen mit einer stets vermasselten Pointe zwischen den schiefen Kunstzähnen.

Ihn faszinieren Künstler wie US-Entertainer Andy Kaufmann, die mit klugem Anti-Humor aus dem Nichts etwas erschaffen. Ähnlich hat Reiber in Halle gearbeitet, wenn er dort vor Studenten mit zwei, drei halbgaren Ideen zauberte. Auch Bastian Reiber hat die Gabe, ein Nichts ganz schnell zu füllen.

Jetzt muss er, wie alle Preisträger vor ihm, die Preisverleihung ausrichten. 90 Minuten im Mittelpunkt stehen. „Das ist eine super Chance, auch mal etwas zu riskieren“, sagt Bastian Reiber. „Da in der Begründung schon Humor und Lustigkeit auftauchen, erwarten die Leute, das Zwerchfell anzuspannen. Das will ich vielleicht bedienen, vielleicht unterlaufen, wer weiß.“

Boy-Gobert-Preisverleihung an Bastian Reiber So 6.12., 11.00, Thalia Theater, Alstertor, Eintritt frei, Anmeld.: www.koerber-stiftung.de/boy-gobert-preis