Am Hansa-Theater beginnt morgen mit einer Gala-Premiere das neue Showprogramm internationaler Künstler. Ein Besuch bei den Proben.

Hamburg. Fallen die Blätter im Herbst, wird es Frühling für das Varieté. Seit 2009 erwacht Mitte Oktober das Hansa-Theater am Steindamm pünktlich zu neuem Leben. Für den Empfangschef des Hauses, Friedrich Engelhardt, geht jedes Mal die Sonne auf, wie er sagt. Er ist dem Haus seit über 30 Jahren verbunden, es gehört zu seinem Leben. Engelhardt steht bereit. Wachsam der Blick, korrekt in Dienstuniform. Dezent gestreifter brauner Anzug mit Weste, dazu weißes Hemd und Krawatte. Seinen Verdienstorden, das golden glänzende Hansa-Theater-Abzeichen am Jackenrevers. Ein unerschütterlicher Fels im geschäftigen Treiben vor, auf und hinter der Bühne.

Die Zeit läuft. Vom 27. Oktober bis zum 26. Februar 2012 präsentieren Ulrich Waller und Thomas Collien, die Intendanten des St.-Pauli-Theaters, das neue Programm. Vier kurze Monate lang lustige, musikalische und zauberhafte Unterhaltung. Die Artisten, Equilibristen, Magier, Puppenspieler und Schlangenmenschen aus aller Welt vermögen allerdings mit ihren Künsten auch nicht die von der Erdumlaufbahn bestimmte Jahreszeiten-Dauer zu verlängern. Also gilt es jeden Tag zu nutzen.

Gerade kommt Noah Chorny vom Parkplatz an der Bremer Reihe, wo bis 1943 das alte prachtvolle Hansa-Theater stand. Er schleppt Metallrohre mit in seinem Gepäck. Der seit 15 Jahren bei Köln lebende New Yorker und chinesische Stangen-Akrobat gibt sein Hamburg-Debüt. "Ich habe als Junge mit Jonglieren im Garten begonnen", erzählt er in astreinem Deutsch. Aus dem Hobby wurde Passion. Er landete bei einem kleinen Zirkus in Kalifornien, lernte Schleuderbrett und Reifenspringen und in Hongkong von Chinesen seine Luftnummer. Der drahtige 1,67-Meter-Mann ist 42 Jahre alt, sieht aber wie 24 aus. Zirkuskunst verjüngt.

Chorny, die technische Leiterin Claudia Stauß und ihr Team tüfteln auf der Bühne an einem sicheren Standplatz und der Verankerung für seinen Akt. Kein Kinderspiel - doch einfacher als die Nummer mit dem "Flying Piano" 2009, in der Simone Romano mit seinem Klavier abhob. Präzision ist jedoch stets gefordert, der geringste Fehler kann gefährlich werden.

Unterdessen spielt sich die Haus-Band Hansa Boys unter dem musikalischen Leiter Andreas Böther ein. "Wir müssen auch Arrangements und Tempo mit einigen der Künstler abstimmen", erklärt der vielseitige Saxofonist. Böther gehört nicht zu Ulrich Tukurs Rhythmus Boys. Anders als der Gitarrist Ulrich Mayer, der Bassist Günter Märtens und der Schlagzeuger Kalle Mews. Die drei sind auch schon mit eigener Nummer im Hansa-Programm aufgetreten. "Wir haben immer was in petto, falls etwas ausfällt", beruhigt der improvisationsgeübte Märtens.

Dann swingen die Boys den Show-Opener "Von acht bis um acht", jazzen eine Varieté-Komposition von Darius Milhaud und rocken italienisch mit "L'Americano". Auf den Notenpulten liegen aber auch "Non è Così'" ("So eine Nacht") von Caterina Valente, die im Hansa-Theater aufgetreten ist, oder die "Hamburger Kedelklopper".

An den Strippen des roten Damastvorhangs steht Heinrich Köhler. Da lässt der gute Geist des Hauses keinen anderen heran. Auf einer Tritt-Nähmaschine hat er auch die duftigen Wolkenstores gestichelt. "Hier geht es nicht um Dekoration, sondern um Authentizität", sagt der gelernte Inneneinrichter im Brustton der Überzeugung. Penibel erhält er das Theater im Originalzustand des Umbaus von 1953. "Möbelstoff und Teppiche werden für uns nach den alten Mustern gewebt." Köhler, seit Januar 1987 im Haus, ist morgens der Erste und abends der Letzte. Der "Petrus" zum Hansa-Himmelreich hütet es mit seinem Bund von 30 Schlüsseln.

Viel Kurioses, Komisches und auch Kostensparendes gibt es hier zu entdecken. Zum Beispiel den "Pfennig-Kacker" auf der mit Karikaturen und Mahagoniholz-Kabinen ausgestatteten Herrentoilette, der seinen Obolus fordert. Adrett und humorvoll betreut Christina Grzonka die im Lüsterlicht schimmernden Kabinette, die durch Drehtüren zu betreten sind. Lautlos kreisend, dämpfen sie ebenfalls Düfte und Lärm in der Küche, wo blitzende Gläserbatterien schon bereitstehen. Die Kaffeekännchen-Zählmaschine mit Laufband zum Überwachen von schummelnden Kellnern ist noch immer in Betrieb.

Ehrlichkeit, Reinlichkeit und Wirtschaftlichkeit zählen zu den obersten Geboten der jüngst verstorbenen Inhaberin Telse Grell und einer dem Gast verpflichteten Ethik des Gastro-Theaters, in dem auch während der Vorstellung serviert wird. Per Kippschalter am Tischchen können Besucher den Service ordern. Störungsfreies Bedienen ermöglicht nämlich der "Kellnergang", ein Korridor unterhalb der Bühne. Schließlich steht über der Eingangstür: "Möge dieser Eingang der Ausgang für zufriedene Gäste sein."

Regisseur Ulrich Waller kommt zur Probe. Er hat die Ruhe weg, lässt seine Leute machen. Mit Thomas Collien besuchte er Shows in Las Vegas. "Ich wollte Neues kennenlernen, habe aber immer nur das Gleiche in gigantischer Größe gesehen." Umso mehr schätzt er jetzt die persönliche Atmosphäre des intimen Hansa-Theaters - im Gegensatz zu den anonymen Riesenspektakeln. "Unser Publikum bekommt Kleinigkeiten, auch Fehler der Artisten mit und atmet mit ihnen", sagt Waller. "Das macht den besonderen Charme des kleinen Schmuckkästchens aus."

Ein Teil der auftretenden Künstler hat bereits in Las Vegas oder im Pariser Lido gearbeitet, wie die Bodenakrobaten-Truppe Euphoria. Der finnische Magier Marko Karvo gastierte bereits 1996 mit seinen Papageien im Hansa-Theater. Auch George Schlick ist auf besonderen Publikumswunsch wiedergekommen. Der ulkige Bauchredner probiert gerade mit seinem sprechenden Ritterhelm die Lichteinstellung. "Ich könnte auch noch eine Baby-Nummer machen", bietet Schlick dem Regisseur an und improvisiert drauflos. "Das ist super, gekauft, George", sagt Ulrich Waller. Die Show kann bald beginnen.

Hansa-Theater-Varieté: 27.10., 20 Uhr, Premiere ausverkauft, Vorstellungen bis 26.2.2012, Karten in allen Abendblatt-Ticketshops und unter der HA-Ticket-Hotline T. 040/30 30 98 98; www.hansa-theater.de

Entdecken Sie Top-Adressen in Ihrer Umgebung: Theater in Hamburg-St.Georg