In Hamburg, Berlin, Hannover, Dresden, Frankfurt, Zürich und Wien weht künftig ein frischer Wind. Was sagen die Neustarts über den Zustand des Theaters?

Frankfurt/Hannover. Es war ein Stück der Gesten und Bewegungen, aber ohne Sprache: 32 Schauspieler verkörperten in Peter Handkes „Die Stunde da wir nichts voneinander wussten“ mehr als 300 Rollen. Das Ensemble des Frankfurter Schauspiels – zum ersten und einzigen Mal komplett auf der Bühne vereint – verabschiedete sich damit von seinem Publikum am Ende der achtjährigen Intendanz von Elisabeth Schweeger.

Ähnliche Abschiedsfeste finden zum Ende der Saison auch an anderen wichtigen deutschsprachigen Schauspielhäusern statt. Denn an sieben Bühnen gibt es einen Wechsel der Intendanz. Das ist der größte Umbruch in der Theaterlandschaft seit langem.

Das Thalia Theater in Hamburg und das Deutsche Theater in Berlin, die Schauspielhäuser in Hannover, Dresden, Frankfurt und Zürich und das Wiener Burgtheater bekommen eine neue Leitung, und meist auch ein neues Ensemble. Was sagen diese prominenten Neustarts über den Zustand des Theaters?

Ein Generationenwechsel findet nicht statt. Der jüngste der neuen Theaterleiter ist Lars-Ole Walburg in Hannover, geboren 1965, bisher Regisseur an mehreren großen Bühnen. Der älteste ist Ulrich Khuon, Jahrgang 1951, einer der erfolgreichsten Intendanten der vergangenen Jahre, er geht vom Hamburger Thalia Theater zum Deutschen Theater in Berlin. Alle sieben sind Profis, haben schon eine längere Theaterkarriere hinter sich, ob als Intendanten, Regisseure oder Dramaturgen. Ein Quereinsteiger mit vielleicht völlig neuen Ideen ist nicht dabei. Allerdings gibt es an jedem Theater junge Regisseure, die für Überraschungen gut sein können.

Die Spielpläne, ob in Hamburg (neuer Intendant Joachim Lux), Berlin (Ulrich Khuon), Frankfurt (Oliver Reese), Dresden (Wilfried Schulz) oder Zürich (Barbara Frey), sind in ihrer Tendenz ähnlich. Sie zeugen von einem gediegenen Qualitätsbewusstsein: Klassiker, gemäßigte Moderne, aktuelle Stücke und Uraufführungen findet man überall.

Prototypisch zeigt sich das am Burgtheater. Matthias Hartmann, vorher in Bochum und Zürich, hat 96 Schauspieler zur Verfügung für drei Spielstätten – in Zürich sind es gerade mal 27, üblich sind 30 bis 40. Er macht alles, vom kompletten „Faust“ bis zum Experiment, lehnt es aber ab, ein eigenes Profil für das Burgtheater zu entwickeln. Da er viel Geld hat, geben sich in Wien die prominenten Regisseure, die alle auch anderswo inszenieren, die Klinke in die Hand. „Zehn Monate lang Dauertheatertreffen“, hat der Kritiker Till Briegleb das genannt.

Die Gegenposition nimmt Walburg in Hannover ein. Ihn irritiere, „dass überall die gleichen Leute das Gleiche inszenieren.“ Sein eigenwilliger Spielplan, auch mit Projekten, die sich auf Hannover beziehen, wird fast ausschließlich von ihm selbst und von einigen jungen Regisseuren realisiert.

Stücke, bei denen die eigene Stadt zum Thema wird, findet man auch anderswo. In Frankfurt etwa steht ein Projekt über Rosemarie Nitribitt auf dem Plan, der Luxusprostituierten der 50er Jahre. In Dresden wird sogar eine Bürgerbühne eingerichtet: Laienschauspieler sollen die Möglichkeit erhalten, „die Bühne mit bekannten und neuen, literarischen und eigenen Texten, mit Inszenierungen und Performances zu erobern“, so der neue Intendant Wilfried Schulz.

„Die kreative Leistung des Intendanten ist es, Menschen zu verbinden und zu verknüpfen“, sagt Ulrich Khuon. Oder, wie er weiter formuliert: „das Ordentliche so zu planen, dass Außerordentliches entstehen kann.“ Aber auch bei einem guten Intendanten ist Theater Teamarbeit. Barbara Frey, bisher ausschließlich Regisseurin, hat sich in Zürich nicht als Intendantin vorgestellt, sondern als künstlerische Leiterin innerhalb eines Teams.

Die Münchner Kammerspiele, auch eines der großen Schauspieltheater, sind in der neuen Saison der Hecht im Karpfenteich. Frank Baumbauer, ähnlich wie Khuon ein Meister darin, die richtigen Leute zusammenzubringen, hat das Haus jetzt verlassen. Der neue Intendant Johan Simons beginnt erst 2010. Die Interimsspielzeit wird von einem Team verantwortet: der Chefdramaturgin und zwei weiteren Mitarbeitern.

Und siehe da, der Spielplan, natürlich aufbauend auf acht Jahren Baumbauer, ist spannender als viele andere: aktuell, mit Aufmerksamkeit für die politische und wirtschaftliche Krise und mit literarischer Qualität. Das reicht von Albert Camus’ „Belagerungszustand“ über eine zutiefst verunsicherte Gesellschaft bis zu einer Adaption des amerikanischen Gangsterfilms „Bonnie und Clyde“ – ein Liebespaar will Banken ausrauben, aber gleich die erste Bank ist pleite.