Mainz. Mit seiner Fabulierkunst hat sich Rafik Schami längst einen festen Leserkreis in Deutschland erworben. Nun legt der Wahl-Pfälzer einen neuen Roman vor - im Mittelpunkt: die heilende Kraft der Erzählung.

Eine Kaskade märchenhafter Wahrheiten präsentiert Autor Rafik Schami in seinem neuen Roman „Wenn du erzählst, erblüht die Wüste“. Der in Damaskus (Syrien) geborene Schriftsteller brennt in seinem aktuellen Buch ein Feuerwerk aus Weisheit und Humor ab und beweist sich in den vielen Episoden erneut als begnadeter Erzähler.

Schami berichtet von weisen Richtern, pfiffigen Tieren, Attentätern und Zuchthäuslern und verliert beim Jonglieren mit den Details nie den Erzählfaden. Falls es stimmt, dass das schönste Instrument die menschliche Stimme ist, ist das Erzählen wohl ihr bestes Lied.

Inspiration aus dem 19. Jahrhundert

Das Buch beginnt mit einem Schock. Schami, der 1971 nach Deutschland kam, schildert, wie eine Rakete im Krieg in Syrien die Bibliothek seines gestorbenen Vaters bei Damaskus trifft. Seltene Folianten, antiquarische Kladden und wertvolle Abhandlungen verbrennen.

Nur sechs Bände überstehen die „kulturelle Katastrophe“ - darunter „Wenn du erzählst, erblüht die Wüste“. Schami ist fasziniert von dem 1820 oder 1830 erschienenen Werk eines unbekannten Autors und macht sich daran, die „Perlen der arabischen Erzählkunst“ in die Gegenwart zu übertragen. Fünf Jahre hat er daran gearbeitet. Nun liegt es vor.

Zwischen Humor und Tragik

Der Rahmen: Als die Königin eines arabischen Landes bei einem Attentat stirbt, versinkt die einzige Tochter in einer Depression. Um die junge Frau mit Geschichten ins Leben zurückzuholen, versammeln sich allabendlich erzählfreudige Menschen im Palast. Sie berichten etwa, warum sich ein Papagei tot stellen muss, warum ein Mann einen Bart kauft und warum man bei Hühnerfleisch misstrauisch sein sollte.

Er habe beim Übertragen der Geschichten viel gelacht, erzählt Schami der Deutschen Presse-Agentur. „Und wie! Ich musste manchmal eine Pause einlegen.“ Vor allem, wenn der nächste Text tragisch war. „Sonst konnte ich mich nicht richtig in die traurige oder zu Tränen rührende Atmosphäre einfühlen. Nach einer kurzen Pause ging es dann.“

Zwangsläufig sei manche Geschichte weit weg vom arabischen Original. „Das ist nicht zu vermeiden, um den Inhalt in die Jetztzeit zu transformieren“, sagt der 77-Jährige, der in einem kleinen Ort in Rheinland-Pfalz lebt. Ein Übersetzer müsse eine Erzählung manchmal sozusagen neu erfinden. „Sonst könnte man nur schwer Geschichten aus alten Zeiten oder anderen Kulturen genießen.“

Buch-Tour

In „Wenn du erzählst, erblüht die Wüste“ erscheint Schami im Gewand zahlreicher Fabulierer. Wie beim Klassiker „Tausendundeine Nacht“ ist Schamis Buch eine Anleitung zum Träumen und eine leidenschaftliche Werbung für das Erzählen. Wenn der Schriftsteller seine Geschichten voller Sehnsüchte und Melancholie entblättert, nimmt er Leserinnen und Leser mit auf eine Reise durch andere Zeiten und Traditionen.

Rafik Schami ist ein Pseudonym und bedeutet „Damaszener Freund“. Sein wirklicher Name lautet Suheil Fadél. Um sein Deutsch zu verbessern, schrieb der Mann mit den runden Brillengläsern und dem Schnauzbart einst Thomas Manns Monumentalwerk „Buddenbrooks“ mit der Hand ab.

Mit seinem Buch tourt Schami bis Jahresende durch mehr als 40 Städte in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Vor drei Jahren hatte er eine Lesereise wegen der Pandemie abbrechen müssen. Nun aber will der große Erzähler die neuen alten Geschichten vor Publikum gleichsam zum Leben erwecken. Die menschliche Stimme vermag, was das geschriebene Wort nicht kann - die vergängliche Spannung des Augenblicks.