Garbsen. Auf ihrem Gelände bilden sich Biotope. Die meisten Wildpinkler strömen aus Kaffeefahrt-Bussen. Und sie haben eine facettenreiche Historie: Wer hätte gedacht, was man über Raststätten alles berichten kann.

Schöner kann mal wohl kaum über Raststätten schwärmen: "Ein Ort von hinreißender Durchschnittlichkeit, ein Traum in Nullachtfünfzehn, asphaltgewordene Normalität" sei Garbsen Nord, befindet der Autor Florian Werner.

Die Raststätte sei ein "typisches Wirtschaftswunderkind". Gelegen an der Autobahn 2 unweit von Hannover. Mit einem Dinosaurier auf dem Dach.

Doch das ist längst nicht alles, was man über Garbsen Nord sagen kann. Wie viel man allerdings über diese Raststätte schreiben kann, überrascht dann doch ein wenig. Werner hat sich für seine Recherchen ein paar Tage dort in einem Zimmer einquartiert und einige Menschen gezielt, andere eher zufällig getroffen. Herausgekommen ist "Die Raststätte. Eine Liebeserklärung". Und der Untertitel drückt treffend aus, was der autolose Autor zu Papier gebracht hat.

Er spricht mit dem Betreiber, der das Geschäft quasi geerbt hat. Er trifft die Autobahnpolizei und einen Botaniker, der mit ihm die Flora an der Rastanlage unter die Lupe nimmt. Drei Seiten füllt die Liste der gefundenen Pflanzen - von Feldahorn bis Mäuseschwanz-Federschwingel. Insgesamt 260 Arten, Dutzende davon essbar.

Werner spricht mit Menschen von Rang und Namen. Und mit solchen, die anonym bleiben, wie ein Flaschensammler und eine Verkäuferin. Erst ziemlich zum Schluss spricht er mit einem Protagonisten, den man eigentlich von Beginn an erwartet: einem Lastwagenfahrer. Das Spektrum an Eindrücken ist somit breit.

So wirft Werner zum Beispiel einen Blick in das Gästebuch der Raststätte, in dem sich Prominente wie der Sänger Udo Lindenberg und der Fußballer Uwe Seeler verewigt haben. Der Fernsehkoch Alfred Biolek schrieb im April 1981: "Danke für den guten Pudding!"

Doch der Charme an der "Liebeserklärung" ist, dass Garbsen Nord nur eine Station von rund 450 in Deutschland ist. Immer wieder weitet der Autor den Blick auf das große Ganze. Rund eine halbe Milliarde Menschen mache jedes Jahr an den Raststätten halt, schreibt Werner. Er beschreibt sie als "Inbegriff bundesrepublikanischer Durchschnittlichkeit, als leidlich funktionale "Nicht-Orte".

Und anhand ihrer erzählt er die Geschichte: entstanden unter den Nazis, mit heroischen und aus heutiger Sicht gar absurden Zielen verbunden, in Ost und West nach dem Krieg in unterschiedlicher Weise weiterentwickelt, in den 70er Jahren an Image verloren.

Auch wer bis hierhin noch keine Leidenschaft für Rastanlagen entwickelt hat, kann einiges lernen. Neben harten Fakten liefert das Buch auch kuriose - beispielsweise, dass die höchste Anzahl an Wildpinklern typischerweise Bussen auf Kaffeefahrt entsteige. Immerhin: Als Quelle zitiert Werner hier einen Hauptkommissar.

Der Verfasser geht auf das Essen an Rastanlagen (früher oft besser) und die Situation an den Toiletten (früher oft schlechter) ein. Über den Klogang philosophiert er gleich in einer Ausführlichkeit, die angesichts des Themas stutzig - aber Spaß zu lesen - macht.

Ähnlich ausschweifend und abstrakt auf einer Meta-Ebene, aber durchaus bedenkenswert sind bisweilen auch manch andere Gedanken, die sich Werner über Raststätten macht. So schreibt er mal angelehnt an mehr oder weniger bekannte Philosophen über Autonomie, Exklusivität und Exzentrität, mal stellt er bloß die Metapher des Auftankens infrage - angesichts des heute möglichen Tempos an der Zapfsäule.

- Florian Werner: Die Raststätte. Hanser Verlag, 192 Seiten, 22,00 Euro, ISBN 978-3-446-26794-7.

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