Berlin. Vor zehn Jahren erschien der Roman “Tschick“ von Wolfgang Herrndorf. Er wurde schnell zum Literaturklassiker. Heute kann er es auf den deutschen Bühnen mit Goethe und Schiller aufnehmen.
Der 14-jährige Maik zieht irgendwann eine simple, aber auch lebenskluge Bilanz: "Die Welt ist schlecht, und der Mensch ist auch schlecht. Trau keinem, geh nicht mit Fremden und so weiter. Das hatten mir meine Eltern erzählt, das hatten mir meine Lehrer erzählt, und das Fernsehen erzählte es auch", lässt Wolfgang Herrndorf den Ich-Erzähler im Erfolgsroman "Tschick" sagen.
"Und vielleicht stimmte das ja auch, und der Mensch war zu 99 Prozent schlecht. Aber das Seltsame war, dass Tschick und ich auf unserer Reise fast ausschließlich dem einen Prozent begegneten, das nicht schlecht war."
Vor zehn Jahren - am 17. September 2010 - erschien "Tschick". Das Buch über zwei junge Außenseiter und Ausreißer hat inzwischen einen festen Platz im Literaturkanon. Millionen haben den Jugendroman gelesen und waren gerührt von der abenteuerlichen Autofahrt der beiden Schulfreunde Maik und Andrej quer durch Ostdeutschland.
Der wohlstandsverwahrloste Teenager Maik, der heimlich in ein Mädchen aus seiner Klasse verliebt ist, verbringt die Sommerferien am Pool der elterlichen Villa. Seine Mutter ist mal wieder in der Entzugsklinik und der Vater mit seiner Assistentin auf sogenannter Geschäftsreise. Plötzlich taucht der als asozial verschriene Klassenkamerad Andrej Tschichatschow auf, den alle nur Tschick nennen. Er stammt aus Russland, wohnt in einem der Hochhäuser von Berlin-Marzahn und hat einen geklauten Lada dabei.
Ohne Plan brechen die beiden Jungs auf in Richtung "Walachei". Sie geraten in absurde Situationen und an abwegige Orte. So werden sie zum Beispiel bei einer sonderbaren Risi-Pisi-Familie zum Mittagessen eingeladen, wo es Nachtisch nur bei Beantwortung einer Quizfrage gibt. Sie treffen zudem die obdachlose Isa an einer Müllkippe. Am Ende passiert ein Unfall und es gibt allerhand Ärger.
Die Kritiker von "F.A.Z." bis Deutschlandradio überschlugen sich 2010 vor Lob. Gustav Seibt schrieb in der "Süddeutschen": "Ein Buch wie ein Roadmovie - nur besser." "Tschick" stand monatelang auf den Bestsellerlisten und erhielt den Deutschen Jugendliteraturpreis 2011.
Heute ist die Road-Novel Schullektüre, wurde verfilmt und ist seit Jahren ein Theater-Hit - eine Art brandenburgische Version von Tom Sawyer und Huckleberry Finn. Es ist eine lakonische Hymne auf das Unterwegssein, auf außergewöhnliche Freundschaften, die Offenheit gegenüber Fremden und das Gefühl, das Hier und Jetzt zu lieben.
Autor Herrndorf hat seinen großen Erfolg nur anfangs erlebt. Der gebürtige Hamburger nahm sich 2013 in Berlin das Leben - nach drei Gehirnoperationen und mehreren Chemotherapien im Kampf gegen den Krebs.
In der jüngsten Werkstatistik vom Deutschen Bühnenverein steht "Tschick" auf Platz eins bei den "zeitgenössischen Stücken". In der Liste der "Stücke mit den höchsten Inszenierungszahlen" in Deutschland, Österreich und der Schweiz rangiert "Tschick" (in der Bearbeitung von Robert Koall) mit 18 verschiedenen Bühnenversionen nur knapp hinter Goethes "Faust" (20) und Schillers "Räubern" (19). Die Zahlen beziehen sich auf die Spielzeit 2018/19.
"Tschick" beschert Herrndorf auf den Bühnen zudem den ersten Platz in der Liste der "beliebtesten Autoren von Literaturvorlagen" mit 288 Aufführungen - noch vor Kafka (272) und Fallada (248).
Die im September 2016 im Kino gestartete Verfilmung von Fatih Akin zählte etwa 900.000 Zuschauer. Tristan Göbel spielt darin Maik Klingenberg, Anand Batbileg ist als Tschick zu sehen.
Die Komödie wurde 2017 in vier Kategorien für den Deutschen Filmpreis nominiert und gewann unter anderem den Bayerischen Filmpreis 2016 sowie den Europäischen Kinderfilmpreis EFA Young Audience Award.
Bei der Fernseh-Erstausstrahlung am 24. Juli 2018 - einem Dienstag um 22.45 Uhr im Ersten - schalteten 1,2 Millionen ein. Der Film, der international auch mit dem Titel "Goodbye Berlin" vermarktet wurde, ist bei diversen Streamingdiensten für etwa 4 Euro verfügbar.
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