Hamburg. Der Erfinder des Kommissars Wallander starb im Alter von nur 67 Jahren an Krebs. Ein Nachruf von Abendblatt-Krimiexperte Volker Albers.
Als Henning Mankell im Januar 2014 davon erfuhr, dass er an Krebs erkrankt sei, zögerte er nicht lange. Am 28. Januar machte er in einem Interview mit der Zeitung „Göteborgs Posten“ seine Krankheit öffentlich. Über seine genauen Beweggründe mag man spekulieren. Ein Grund aber dürfte sein, dass Henning Mankell, der Sohn eines Richters, sich Zeit seines Lebens der Wahrheit und dem Geist der Aufklärung verpflichtet gefühlt hat. Das spricht aus all seinen Schriften und galt wohl auch im Fall seiner Krankheit. Gestern ist Henning Mankell in Göteborg an den Folgen seiner Krebserkrankung gestorben. Er wurde nur 67 Jahre alt.
Ende September, nur wenige Tage also vor seinem Tod, erschien Mankells letztes Buch auf Deutsch, an dem er noch in den Zeiten seiner Krankheit geschrieben hat. „Treibsand. Was es heißt, ein Mensch zu sein“ lautet der Titel, der im Angesicht des Sterbens eine schon existenzielle Tiefe aufweist. Mankell lässt darin weite Teile seines Lebens Revue passieren, flaniert literarisch durch alltägliche Begebenheiten, lotet dramatische Ereignisse aus, erzählt von Reisen, der Liebe zu Afrika, spannt den großen Bogen von der Jugend bis zu seinen letzten Monaten.
Es ist ein intimes Buch geworden, in dem Mankell auch von jenen Menschen berichtet, die ihm begegnet sind, auch von den ihm unbekannten. „Alle diese unbekannten Menschen sind mir nahe“, schreibt er. „Für kurze Augenblicke sind sie in mein Leben getreten. Aber mit ihnen allen teile ich mein Dasein. Unsere eigentliche Familie ist unendlich. Auch wenn wir nicht einmal mehr wissen, wem wir für einen schwindelerregend kurzen Augenblick begegnet sind.“ Ein nahezu kosmologisches Bekenntnis.
40 Millionen Wallander-Romane verkauft
Es hätte auch jener Kunstfigur gut zu Gesicht gestanden, mit der Henning Mankell weltberühmt geworden ist – Kurt Wallander, Kriminalkommissar in der südschwedischen Stadt Ystad. Ein knappes Dutzend Kriminalromane hat Mankell seiner melancholischen Figur auf den fülligen Leib geschrieben. Allein in Deutschland sind rund 15 Millionen Wallander-Romane verkauft worden, weltweit sind es um die 40 Millionen. Es werden, das ist gewiss, nach dem Tod des Autors noch etliche Exemplare hinzukommen.
Erst spät begann Mankell, sich dem Kriminalroman zuzuwenden. Zuvor hatte er bereits als 17-Jähriger am Stockholmer Riks-Theater als Regieassistent gearbeitet und sich drei Jahre später, 1968, als Regisseur ganz dem Theater verschrieben. Es sollte bis weit in die 1980er-Jahre hinein seine Bühne bleiben. Geschrieben aber hatte Mankell schon immer. „Ich war knapp 20 Jahre alt“, steht es in „Treibsand“ zu lesen. „Ich schrieb Gedichte und trieb mich nachts in Stockholm herum und klebte sie an Hauswände und Betonpfeiler. Manchmal wurden sie abgerissen. Das freute mich. Ein Leser hatte eine Reaktion gezeigt, auch wenn sie nicht von Wertschätzung zeugte.“
Wertschätzung erhielt Mankell, dessen Eltern sich trennten, als der Sohn ein Jahr alt war, später nicht eben wenig. Als 1991 mit „Mörder ohne Gesicht“ der erste Wallander-Roman erschien, konnte jedoch niemand ahnen, welch großer Erfolg dieser Reihe beschieden sein sollte. Vermutlich hätte im anderen Fall auch der Rowohlt Verlag, dem das Manuskript angeboten wurde, die Veröffentlichung nicht mit dem Hinweis abgelehnt, das Thema des Romans sei politisch zu brisant. Es geht in dem Buch auch um einen Anschlag auf ein Asylbewerberheim. Statt Rowohlt griff der Hanser Verlag zu. Der Rest ist Geschichte.
Ein Besuch in Afrika prägte ihn
Die Wallander-Romane setzen die kriminalliterarische Tradition des schwedischen Autorenduos Maj Sjöwall und Per Wahlöö und ihres Kommissars Martin Beck fort. Vor allem was die Kritik gesellschaftlicher Entwicklungen betrifft, hinzu kommt bei Mankell jedoch eine bis dato unbekannte Dimension in der Brutalität des Erzählten. Die Folge war ein Boom schwedischer Kriminalromane, der in der europäischen Spannungsliteratur seinesgleichen suchen dürfte.
Neben dem Schreiben blieb das Theater eine Leidenschaft Mankells. Ein Besuch Anfang der 1970er-Jahre in Afrika prägte ihn, dessen Familie auch deutsche Wurzeln im Hessischen hat, derart stark, dass er Mitte der 1980er-Jahre in Maputo, Mosambik, eine Theatergruppe ins Leben rief. Zehn Jahre später übernahm er die Leitung des dortigen Theaters. Auch sein Schreiben wurde von den Erfahrungen auf dem Schwarzen Kontinent geprägt. Romane wie „Die rote Antilope“ entstanden, doch drückt in ihnen der kritische Geist der Aufklärung allzu stark auf die literarische Qualität. „Afrika“, so glaubte Mankell, „hat mich zu einem besseren Europäer gemacht.“
Rund 50 Bücher hat Henning Mankell geschrieben, zudem mehrere Theaterstücke, Kinderbücher und auch zwei Vorlagen für den Kieler „Tatort“. Alle diese Bücher seien seine Kinder, hat Mankell in einem Abendblatt-Interview gesagt, keines sei wichtiger als das andere. Der Hege und Pflege bedürften sie aber alle, weshalb er für seine Arbeitsweise und seinen kontinuierlichen Wechsel der literarischen Genres einen landwirtschaftlichen Vergleich heranzog: „Ich versuche wie ein Farmer zu arbeiten. Ein Farmer hat ein Stück Land, das er nicht jedes Jahr mit den gleichen Gewächsen bepflanzen kann. Dann würde er sein Land zerstören.“
Henning Mankell war mit der Theaterregisseurin Eva Bergman verheiratet, einer Tochter Ingmar Bergmans. Ihr hat er sein letztes Buch gewidmet, sein Vermächtnis.