Das Buch

Der Mensch ist kein Beilagenesser. Wie es ist, in Harburg aufzuwachsen, das weiß Heinz Strunk genau. Harburg, nicht Hamburg. Mitte der 80er ist Heinz volljährig und hat immer noch Akne, immer noch keinen Job, immer noch keinen Sex. Doch dann wird er Bläser bei Tiffanys, einer Showband, die auf den Schützenfesten zwischen Elbe und Lüneburger Heide bald zu den größten gehört. Aber auch das Musikerleben hat seine Schattenseiten: traurige Gaststars, heillose Frauengeschichten, sehr fettes Essen und Hochzeitsgesellschaften, die immer nur eins hören wollen: »An der Nordseeküste« von Klaus & Klaus.

»Es tut einem ja jeder leid, der das Buch von Heinz Strunk nicht gelesen hat.«
(Sven Regener)

Der Autor

Der Musiker, Schauspieler und Schriftsteller Heinz Strunk wurde 1962 in Hamburg geboren. Er ist Gründungsmitglied des Humoristentrios Studio Braun und hatte auf VIVA eine eigene Fernseh-Show. Sein Buch »Fleisch ist mein Gemüse« verkaufte sich über 300.000-mal. Es ist Vorlage eines preisgekrönten Hörspiels, einer »Operette« im Hamburger Schauspielhaus und eines Kinofilms. Im Herbst 2008 erschien das zweite Buch des Autors, »Die Zunge Europas«, über das die Welt urteilte: »Spaß und Depression derart authentisch und gekonnt miteinander zu verbinden, ist eine große Kunst. Strunk beherrscht sie meisterhaft.«

Das sagt die Redaktion

Harburg, Phoenix, Hochzeitsgesellschaften und Pubertätsprobleme. Heinz Strunks Buch avancierte wegen seiner schonungslosen Liebe zum Detail zum Kultroman – mit Film, Musical und Grillschürze. Birgit Reuther über „Fleisch ist mein Gemüse“.

Als menschliche Variante eines ausgestopften Hirschkopfs hängt Heinz Strunk in der Verfilmung seines Bestsellers „Fleisch ist mein Gemüse“ an der Wand. Und wie der Autor da von der der Brust an aufwärts aus der Tapete ragt und mit fisteliger Stimme sein fiktional überhöhtes Leben auf der Leinwand kommentiert, das komprimiert bereits aufs Feinste die großartige Hanswurstigkeit dieses Stoffes, dieser „Landjugend mit Musik“.

Tristesse und Absurdität des Anti-Helden Heinz, seines Zeichens Saxophonist der Tanzkapelle Tiffanys, verzahnen sich zwischen Schützenfesten und Star-Sehnsüchten, Party und Pathologischem, Not der Pubertät und Krankheit der Mutter – und das alles zwischen 1985 und 1997. Dass der Protagonist ausgerechnet in den ritual-geschwängerten Soziotopen der Dorffeste und Hochzeitsfeiern in Moorwerder, Klein Eilstorf und Brunsbüttel eine Flucht aus der Enge seiner Reihenhaussiedlung sucht, ist nicht das einzige pointierte Paradoxon des Romans. Strunk erfreut sich an der Heimeligkeit von Klischees und entlarvt sie zugleich. Doch nicht nur für ehemals Pubertätsgeplagte, die die 80er-Jahre auf dem Land er- und durchlebt haben, ist „Fleisch ist mein Gemüse“ ein Lesevergnügen. Denn der Roman erzählt von universellen Themen wie Erwachsenwerden, Einsamkeit und dem Ringen um Liebe. Und wie alle Bücher, die das Menschliche auch über den Ekel zeigen (vergleiche Charlotte Roches „Feuchtgebiete“), ist die Geschichte letztlich eine tief-traurige. Aber: „Ich wollte das Depressive nicht eins zu eins abbilden – weder so Judith-Hermann-mäßig, im Geiste deutscher Gegenwartsliteratur, noch im Sinne eines Pop-Romans“, erzählte Strunk 2004, als der Roman erschien, dem Hamburger Abendblatt.

Sein größter Verdienst ist es daher, dass er so griffige Formulierungen wie „Aknehörner“, „Fünfmannmucken“, „Rotzkanne“, „Eihunger“, „Souvlakisonntag“, „sexueller Bodensatz“ und „Bumsgasthaus“ in die Welt der Prosa einführte. Zudem hat der 1962 in Harburg geborene Strunk mit seiner autobiografisch gefärbten Versager-Story seine Heimat auf der literarischen Landkarte verankert. Den Phoenix-Gummiwerken, „dem weithin sichtbaren Wahrzeichen Harburgs“, wurde mit der Operetten-Version von „Fleisch ist mein Gemüse“ ein Denkmal gesetzt. In „Phoenix – wem gehört das Licht“, das 2005 am Schauspielhaus Premiere hatte, mimte Strunk seine eigene Mutter. Das Singspiel ist ein Baustein aus einer Kette an Zweit-, Dritt- und Nebenverwertungen, die der Erfolg des Romans nach sich zieht. „Fleisch ist mein Gemüse“-Memorabilia vom Schlager-Soundtrack bis zur Grillschürze gehören mittlerweile zum Angebot von Hamburger Szene-Läden. Die Bedeutung seines Heimat-Stadtteils „am falschen, dem südlichen Ufer der Elbe“ subsumiert der Ich-Erzähler wie folgt: „Es gibt Orte, die sollte man früh verlassen, wenn man noch etwas vorhat im Leben“.

Strunk hat den Sprung über die Elbe geschafft und zog nach Winterhude. Obwohl der klassisch ausgebildete Musiker selbst einst im Studio für Howard Carpendale und Michy Reincke die Background-Beschallung lieferte, hat er sich aus dem toten Winkel der Dienstleistungsmusik herausmanövriert. Nicht nur mental, indem er seine Geschichte als „eine Art Beschäftigungstherapie“ nach seinem 40. Geburtstag aufschrieb. Sondern auch optisch, indem er sich vom Pickelface zum Dandy wandelte. Auf der Premierenparty zum „Fleisch ist mein Gemüse“-Film lehnte Strunk, das graue Haar gestylt, im Anzug mit Sonnenbrille am Tresen, während auf der Bühne ein Tiffanys-Aufguss in den alten Pink-Panther-Sakkos „Hello Dolly“ und „An der Nordseeküste“ intonierten. Die Stanzen von Bandleader Gurki sind längst zu geflügelten Worten des Partysmalltalk avanciert: „Jaaa, liebe Freunde! Swing8time is good time, good time is better time“.

Doch der Witz brüllt den Leser in „Fleisch ist mein Gemüse“ nicht immer so an wie dieser minipli-frisierte Gute-Laune-Kasper. Den teils bis zur Unkenntlichkeit heruntergedimmten Humor fand Strunk in selbst produzierten Songs und Hörspielen, vor allem aber bei dem Telefonscherz-Trio Studio-Braun. Rocko Schamoni, Jacques Palminger und er zwangsphilosophierten mit spontan angerufenen Menschen über Mariacron-Werbung und Flippers-Karten. Die Namen der Humor-Aktivisten – alles Pseudonyme. Heinz Strunk, eine Kunstfigur.

Unter seinem bürgerlichen Namen

Mathias Halfpape kandidierte er bei der Hamburger Bürgerschaftswahl 2008 als Spitzenkandidat für Die Partei. Heinz Strunk als Bürgermeister? Warum auch bescheiden sein. Wie heißt es so schön in „Fleisch ist mein Gemüse“: „Der Mensch ist kein Beilagenesser“.

Hellmuth Karasek meint

„In Harburg fängt der Balkan an, denn südlich von der Elbe sind die Leute nicht dasselbe“, sang der Liedermacher Frank Zander.

Und Heinz Strunk, der auf erfrischend ehrliche und sich selbst nicht schonende Art seine Jugend als Musiker beschreibt, der auf »Mucke geht«, stammt aus dieser damals eher unattraktiven Ecke der sonst so prächtigen Hansemetropole.

Außerdem hat er eine Mutter, die mit dem Alter gnadenlos verfällt, ein Pflegefall, eine Umwelt, in der nichts im Lot ist.

Kein Wunder, dass dieser dennoch robust begnadete Musiker, der zu einer Band gehört, die für Stimmung am Wochenende in Kneipen und schlichten Ballsälen sorgt, auch auf Liebe weitgehend verzichten muss und zu seinen Musikkumpels ein nüchtern-perfektes Verhältnis hat: Sie verdienen zusammen die Kohle

und lassen sich regelmäßig volllaufen in rauchiger, Bierdunst verströmender Luft .

Was Sven Regeners Roman „Herr Lehmann“ für Berlin-Kreuzberg, ist Strunks „Fleisch ist mein Gemüse“ für Harburg und Umgebung, ein Roman von umwerfender Volksnähe, authentischer Trash-Kultur und großartiger Underdog-Poesie – und die Geschichte einer Mannwerdung unter erschwerten, unbekümmerten Bedingungen. Besser, genauer, unterhaltsamer kann man diese kreative Subkultur, die für viele der soziale Alltag ist, nicht bekommen.