Berlin. Der Spielfilm „Die Herrlichkeit des Lebens“ erzählt die letzte, kurze, aber erfüllte Liebe des Dichters Franz Kafka mit Dora Diamant.
Man verbindet mit ihm düstere literarische Szenarien, eine kalte, abweisende Umwelt, in der das Individuum verloren geht, und absurde Momenten, die man nicht umsonst kafkaesk nennt. Aber Franz Kafka im Sommerurlaub am Strand? Auf einem Motorrad knatternd? Noch dazu verliebt? Das ist ein eher seltenes, seltsames Bild. Man kennt ja die „Briefe an Felice“ und glaubt, der Mann, der 1924 im Alter von nur 40 Jahren gestorben, der sei nicht nur an der Welt im Allgemeinen, sondern auch an der Unmöglichkeit der Liebe im Speziellen zerbrochen. Und sieht sich hier eines Besseren belehrt.
Der Dichter als Protagonist eines Liebesromans
Auch wenn das Liebesbekenntnis schon mit befristetem Haltbarkeitsdatum ausgesprochen wird: „Da ist noch etwas, was Sie wissen sollten. Ich bin ein kranker Mann, ich habe Tuberkulose“. Später wird er ihr Blumen überreichen, aber dabei auch gleich Blut auf ihre Bluse spucken. Die Dame erhört ihn dennoch. Auch wenn sie nur ein knappes Jahr haben. Und sie ihn bald pflegen muss. Sie wird, wie das auch ihre Tochter später in einem Buch über ihre Mutter nennen wird, „Kafkas letzte Liebe“.
Wenn Geistesgrößen zu groß werden und damit auch der Respekt vor ihnen, lohnt es oft, sich ihnen anders zu nähern. Nicht über das monumentale Werk allein. Sondern persönlich. Oder auch fiktiv. Wie der Schriftstellerkollege Michael Kumpfmüller, der Kafka 2011 zum Protagonisten eines Liebesromans machte. Und nicht nur einer Liebe. Sondern der letzten und vielleicht einzig wirklichen, glücklichen.
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Der Schriftsteller setzt sich zu der Zeit endgültig gegen seinen übermächtigen Vater durch, ist aber auch schon von der Krankheit gezeichnet. Seine Umworbene Dora Diamant ist 15 Jahre jünger und mehr oder weniger mit einem jungen Kommunisten liiert, dessen kämpferischer Natur der zarte Dichter wenig entgegensetzen kann. Und doch entscheidet sich die bodenständige Tänzerin für ihn. Wegen ihr zieht er nach Berlin, in eine kalte, zugige Wohnung in Steglitz, die Gift ist für seine Krankheit. Weshalb ihn alle von hier wegbringen wollen. Aber hier ist eben Dora Diamant, das Juwel seiner letzten Monate.
Der zartbesaitete Dichter und die bodenständige Tänzerin
Ein Liebesroman mit Kafka: eine morbide, fast schon kafkaeske Idee. Entsprechend auch eine Verfilmung desselben. Und dann noch mit einem himmelhochjauchzenden Titel wie „Die Herrlichkeit des Lebens“. Aber Judith Kaufmann, eine der besten Kamerafrauen des deutschen Films (zuletzt „Das Lehrerzimmer“ und „In Liebe, Eure Hilde“) hat es gewagt. Und zum zweiten Mal Regie geführt. Nach dem Drama „Zwei Leben“ (2012) über eine DDR-Spionin, und wie damals schon mit Georg Maas als Ko-Regisseur.
Das zufällige Kennenlernen an der Ostsee 1923 gießen sie in sonnendurchtränkte Bilder, wie man sie sonst eher im Fernseh-Herzkino vermuten würde. Eigentlich eine Provokation bei diesem Thema. Umso grauer und trister dann die Szenen in Berlin, wobei von der Stadt wenig mehr als die karge, kalte Wohnung gezeigt wird. In der „Herr Doktor“, wie seine Geliebte ihn anfangs nennt, auch keinen Frauenbesuch empfangen darf.
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Er spricht von hoher Literatur. Und sie bringt ihm bei, wie man Kartoffeln schält. Wenn er nicht gerade einen aussichtslosen (kafkaesken) Kampf gegen den rußigen Ofen führt, der seine Krankheit nur verschlimmert, und dabei, im Stehen, den Brief an den Vater schreibt. Oder auch eine Seite der Erzählung „Die Verwandlung“. Literatur, die er bekanntlich für nicht gut genug hält und verbrennen will. Aber mit dem Ofen kann er halt nicht umgehen.
Der Auftakt zu gleich mehreren Kafka-Filmen
Zwei Liebende. Alle anderen sind nur blasse Nebenfiguren. Manuel Rubey kann als Max Brod ebenso wenig Akzente setzen wie Alma Haslun als Kafkas Schwester Ottla. Auch Sabin Tambrea scheint erst mal eine Fehlbesetzung für Kafka. Keinerlei Ähnlichkeit, ein ganz anderer Typ. Und doch wieder passend, wie er ihn blass, kantig und ungelenk spielt und auch rein figürlich nicht recht in seine Welt passen will.
Und „Die Herrlichkeit des Lebens“ ist ja auch gar nicht der Kafka-Film. Sondern einer von mehreren, die jetzt zum 100. Todesjahr des Schriftstellers anstehen. Die polnische Kinolegende Agniezska Holland plant gerade ihr Biopic „Franz“ mit dem Newcomer Idan Weiss, und in der ARD läuft ab 26. März der höchst experimentelle Sechsteiler „Kafka“ mit Joel Basman in der Titelrolle. Vergleichsprojekte, an denen sich „Die Herrlichkeit“ messen muss.
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Doch der Vorteil dieser Produktion: Sie erzählt nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Kafka-Universum. Eines der am wenigsten bekannten obendrein, denn im Gegensatz zu den „Briefen an Felice“, die in keiner Gesamtausgabe fehlen, gingen die Briefe an Dora, als sie zwölf Jahre nach seinem Tod vor den Nazis fliehen musste, verloren. Eine Fehlstelle, die auch mit viel Imagination gefüllt werden kann. Damit ist der Film aber eben nicht nur ein Film über den Dichter, sondern auch über eine sehr unkonventionelle, selbstbewusste und außergewöhnliche, Frau.
Am Ende kann der Wortmächtige nicht mehr sprechen
Henriette Confurius hat in „Die Schwestern“ schon die Geliebte von Schiller gespielt und wird nun wieder zur Dichterliebe. Die Chemie zwischen ihr und Tambrea stimmt. Und trägt den Film auch über schwächere Momente hinweg. Dieser doppelte Blick, auf die beiden Liebenden, aber auch von zwei Regisseuren, kommt dem Film zugute. Und die berührendsten Szenen sind die ganz am Ende, wenn die Tuberkulose schon Kafkas Kehlkopf angegriffen hat und er, der Wort- und Sprachmächtige, nicht mehr sprechen kann und sich stumm mit seiner Dora verständigen muss.
Liebesfilm, Deutschland 2024, 110 min., von Judith Kaufmann und Georg Maas, mit Sabin Tambrea, Henriette Confurius, Manuel Rubey, Alma Haslun.