Frankfurt/Main. 20 aus knapp 200: Die Jury hat sich festgelegt und die Longlist für den Deutschen Buchpreis bekanntgegeben. Ein Thema taucht dabei in gleich mehreren Romanen auf.
Sie spielen in einem jüdischen Ort in Sibirien oder in der ehemaligen DDR, sie erzählen aus der Sicht eines Tintenfischs oder von der Zuschauertribüne des NSU-Prozesses. 20 Romane haben es auf die mit Spannung erwartete Longlist für den Deutschen Buchpreis geschafft. „Unsere Auswahl ist auch in diesem Jahr wieder der Beweis dafür, dass die deutschsprachige Gegenwartsliteratur voller Überraschungen ist“, erklärt Jurysprecherin Katharina Teutsch am Dienstag. „Geschichten von tragischem Ernst stehen neben Kapriolen der Fantasie.“
Elf Autorinnen und neun Autoren sind mit ihren Werken in der Vorauswahl vertreten. Zu den prominentesten Namen gehören Terézia Mora, die bereits 2013 den Buchpreis gewann und diesmal mit ihrem Roman „Muna oder Die Hälfte des Lebens“ dabei ist, der von einer toxischen Liebesbeziehung erzählt. Oder Georg-Büchner-Preisträger Clemens J. Setz, der sich in „Monde vor der Landung“ mit einem fast vergessenen Hohlwelttheoretiker auseinandersetzt.
Die Kaschnitz-Preisträgerin Angelika Klüssendorf ist mit dem Buch „Risse“ nominiert, in dem es um ein Kinderleben in der DDR in den 60er und 70er Jahren geht. Und Kathrin Röggla liefert mit „Laufendes Verfahren“ einen Roman zum NSU-Prozess, der zugleich ein Sittenbild von deutscher Gesellschaft und Justiz abbildet.
Charakterstarke Bücher
Beim Blick auf die Liste fällt aber auch auf, dass sich Newcomer ganz selbstbewusst neben die etablierten Namen reihen: Luca Kieser beschäftigt sich beispielsweise in „Weil da war etwas im Wasser“ mit einem monströsen Tintenfisch, dessen Arme und Tentakel zu erzählen beginnen. Und Charlotte Gneuß' „Gittersee“ spielt in den 70er Jahren im gleichnamigen Dresdner Vorort und wurde bereits mit dem Jürgen Ponto-Preis 2023 ausgezeichnet.
Es handle sich um eine sehr temperamentvolle Auswahl charakterstarker Bücher, sagt Teutsch mit Blick auf die Longlist. Die Jury habe auch den literarischen Humor würdigen wollen, der sich durch viele Werke ziehe. Dieser sei „nicht nur Treibstoff des Erzählens, sondern auch Ausdruck eines sympathisch undogmatischen Weltverhältnisses, das uns besonders in dieser Zeit beeindruckt hat.“
Die Kritikerin betont zudem, dass die siebenköpfige Jury völlig frei von politischen oder moralischen Ansprüchen an die Arbeit gegangen sei. Dennoch habe sich am Ende herausgestellt, dass es in vielen Werken auch um Migration gehe. So handle Tomer Dotan-Dreyfus' Debüt („Birobidschan“) von einem jüdischen Städtchen, das in den 30er Jahren in Sibirien gegründet wurde. Sherko Fatah beschäftige sich in „Der große Wunsch“ mit Migration und ihren Folgen und Elena Fischer („Paradise Garden“) mit Einwanderung aus Ungarn. Necati Öziri bilde in seinem Debüt „Vatermal“ deutschtürkische Realitäten verschiedener Generationen ab. Und Anne Rabe erzähle in „Die Möglichkeit von Glück“ von der Migration aus der verschwundenen DDR in den Westen.
„Wir hatten das nicht auf der Agenda, dass die Auswahl möglichst divers sein soll oder möglichst viele Frauen vertreten sein sollen“, erklärt Teutsch. „Aber am Ende hat sich auf natürliche Weise ein Bild ergeben, das die aktuellen Lebensverhältnisse in Deutschland und die Fragen vieler Menschen an die eigene Herkunft repräsentiert.“
Insgesamt waren in diesem Jahr 196 Romane von 113 deutschsprachigen Verlagen im Rennen. Aus der 20 Titel umfassenden Longlist wird in den kommenden Wochen die Shortlist mit den sechs besten Romanen gebildet. Diese soll am 19. September veröffentlicht werden. Der Gewinner oder die Gewinnerin wird bei der Preisverleihung am 16. Oktober, zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse, verkündet.
Der Deutsche Buchpreis gilt als eine der wichtigsten Auszeichnungen der Branche und wird seit 2005 verliehen. Der Preis ist mit insgesamt 37 500 Euro dotiert: Der Sieger oder die Siegerin erhält 25 000 Euro, die übrigen Autoren der Shortlist jeweils 2500 Euro. Im letzten Jahr wurde Kim de l'Horizon für den Roman „Blutbuch“ ausgezeichnet.
Mehrere der aktuell nominierten Romane sind noch nicht erschienen. Ein Taschenbuch mit Textauszügen aller Longlist-Titel ist ab dieser Woche in vielen Buchhandlungen kostenlos erhältlich.
Bei den Kundinnen und Kunden gebe es schon ein Interesse an der Longlist und an den Leseproben, sagt etwa Julie Sawallisch von der Berliner Buchhandlung Stadtlichter. Erfahrungsgemäß bringe der Buchpreis auch Verkaufserfolge mit sich. Und: „Schon eine Nominierung ist eine große Chance für neue Autorinnen und Autoren sowie für kleinere Verlage“, erklärt die Buchhändlerin. Neben den sieben Debütwerken sind laut Börsenverein zwei Verlage zum ersten Mal nominiert - und zwar Voland & Quist sowie der Kanon Verlag Berlin.