Berlin/New York. Er ist einer der größten Filmstars aller Zeiten. Nun wird Robert De Niro 80. Ans Aufhören denkt er noch lange nicht. Drehen hält jung.
Vor diesem Mann kann man Angst kriegen. Unvergessen, wie Robert De Niro im Kultfilm „Taxi Driver“ bedrohlich sein „Talkin’ to Me?“, Sprichst du mit mir, wiederholt. Wie er im Spiegel Macho-Posen einstudiert. Sich schließlich seinen Schädel zu einem Punk-Irokesen kahlrasiert. Und dann mit der Knarre loszieht und für das sorgt, was er unter Gerechtigkeit versteht. Weil es ja sonst keiner tut.
Bei diesem Travis Buckle, einem Vietnamveteranen, staut sich viel an, Wut über die verkommenden Verhältnisse, die verkommene Stadt, durch die er fährt. Bis das Pulverfass explodiert. Sowas wie die Urform dessen, was wir heute Wutbürger nennen. Und erst jetzt in Gänze begreifen.
Robert De Niro: Eine Filmszene ist der Schlüssel zu seinem Oeuvre
Am Donnerstag wird Robert De Niro 80 Jahre alt. Er gilt längst als einer der wichtigsten und einflussreichsten Filmschauspieler. Hat sich in so ziemlich jedem Genre bewiesen. Und so ziemlich jeden Preis gewonnen. Aber noch immer ist dieser Travis Buckle ein Monument.
Nicht nur, weil seine „Talkin’ to Me?“- Tirade, die ganz spontan als Improvisation entstand, eine der am häufigsten zitierten und parodierten Szenen der Filmgeschichte ist. Sondern auch, weil sie das Phänomen De Niro deutlich veranschaulicht: Wie da ein stiller, in sich gekehrter Mann allmählich ein ganz anderer wird.
Lesen Sie auch:Diese zwölf deutschen Filme werden für den Auslands-Oscar gehandelt
De Niro ist der Inbegriff des Method Acting. Ein etwas schwammiger Begriff, der auf das russische Stanislawski-System zurückgeht und übernommen wurde von den legendären New Yorker Schauspielschulen, Lee Strasbergs Actor’s Studios und Stella Adlers Conservatory, die Stars hervorbrachten, die diese kurz „Method“ genannte Schauspiellehre populär machten: Marlon Brando, James Dean, Paul Newman, Jane Fonda. Und dann eben auch De Niro, der wie Brando bei Stella Adler lernte und Gasthörer im Actor’s Studio war.
Die Methode in Kürze: sich ganz in einen Charakter einfühlen. Ihn bis in kleinste Details präzise formen. Und über Wochen, wenn nicht Monate entwickeln, ausprobieren. Ganz in der Rolle aufgehen. Ganz dahinter verschwinden. Eine zweite, neue Haut. De Niro ist berühmt dafür, sich so zu verwandeln, dass er manchmal nur noch an dem markanten Leberfleck auf der rechten Wange zu erkennen ist. Er selbst gibt sich in Interviews und auch sonst schmallippig. Seine Rollen aber sprechen Bände.
Robert De Niro: Ein Fanatiker, der sich Monate lang akribisch auf eine Rolle vorbereitet
De Niro ist ein Authentizitätsfanatiker. Einer, der für „Taxi Driver“ (1976) extra den Taxischein machte und dann wochenlang in New York Taxi fuhr. Der für „New York, New York“ (1977) so gut Saxophon spielen lernte, dass er danach als Musiker auftreten konnte. Und für „Wie ein wilder Stier“ (1980) als Boxer-Champion Jake La Motta ein Jahr lang unter Anweisung des echten La Motta trainierte.
Und sich danach 25, nach anderen Quellen sogar 30 Kilo anfraß, um wie dieser aufzuschwemmen. Das ist Raubbau am eigenen Körper. Auch wenn De Niro sich danach wieder runterhungerte, einen Stiernacken hat er seitdem behalten, der ewig an diese Tour de force erinnert. Aber für einen echten Method Actor ist eben auch Leib und Seele nur Masse und Spielmaterial.
Lesen Sie auch: Erst wurde er gefeiert, dann zum Skandal: Valeria Bruni Tedeschis Film „Forever Young“
De Niro, ein neuer Brando. Mit ihm wurde er nicht nur verglichen, weil sie bei Stella Adler in die Lehre gingen. Sondern weil De Niro auch direkt in seine Fußstapfen trat. In „Der Pate Teil II“ (1974) – der besten aller Fortsetzungen, die eben nicht bloß ein zweiter Teil war, sondern Fortsetzung und Vorgeschichte in einem, oder neudeutsch Sequel und Prequel zugleich.
Da spielte er die ikonische Rolle des Mafia-Paten in jungen Jahren. Andere hätten diesen Vergleich wohl gescheut. De Niro nahm ihn eher als zusätzlichen Antrieb. Und wie Brando für den alten Paten, bekam auch De Niro für den jungen einen Oscar. Und rückte damit gänzlich in den Hollywood-Olymp auf.
Immer wieder setzte De Niro seiner Stadt New York filmische Monumente
Dabei lebt er weit ab vom La-La-Land Hollywood, in New York. Hier ist Robert Anthony De Niro, Jr. am 18. August 1943 als Sohn zweier bildender Künstler geboren, in eine Familie mit italienischen Wurzeln, und in Little Italy aufgewachsen. Das hat ihn geprägt. Und davon handeln auch viele seiner Filme. Nicht nur der Stadtneurotiker Woody Allen, auch De Niro hat dem Big Apple wieder und wieder filmische Denkmäler gesetzt.
Nur dass es in diesen Werken eher wenig zu lachen gibt. Sie sind bestimmt durch die Straßen, den Schmutz, die Gewalt, das Verbrechen. Vor allem jene Filme, die er mit seinem Buddy Martin Scorsese, noch so ein New Yorker mit italienischen Wurzeln, gedreht hat. Von „Hexenkessel“, der sie vor 50 Jahren erstmals vereinte und beide bekannt machte, über die bereits genannten „Taxi Driver“ und „Wie ein wilder Stier“, bis zu „GoodFellas – Drei Jahrzehnte in der Mafia“ (1990) und „The Irishman“ (2019). Aber auch in Sergio Leones vierstündigem Gangsterepos „Es war einmal in Amerika“ (1984), wo seine Figur Noodles um 35 Jahre altert.
Lesen Sie auch: „So lange ist das ja gar nicht“: Claudia Michelsen über ihr Zehnjähriges beim „Polizeiruf“
De Niro überzeugt immer wieder in der Darstellung ambivalenter, gebrochener Figuren, als traumatisierter Vietnamkämpfer in „… die durch die Hölle gehen“ (1978), als Jesuitenkämpfer in „Mission“ (1986), als Filmmogul in „Der letzte Tycoon“ (1976) Aber es sind immer wieder seine Verbrecherrollen, die man als erste mit ihm verbindet. Und die er nicht nur in seiner Stadt spielte, sondern auch in Scorseses Las-Vegas-Drama „Casino“ (1995) oder als Chicagos König de Unterwelt Al Capone in Brian De Palmas „Die Unbestechlichen“ (1987).
Dass er in seiner jüngsten, im Mai gestarteten Komödie „Und dann kam Dad“ mit Stars-and-Stripes-Jacke und -Hut herumläuft, ist mehr als nur ein Gag. Wie Henry Fonda und James Stewart ist De Niro ein Mann, der Amerika verkörpert. Nur nicht, wie diese, mit Licht-, sondern mit Schattengestalten.
Mit den Jahren hat sich De Niro mehr und mehr der Komödie zugewandt
Doch als wäre ihm das selbst zu düster geworden, hat sich De Niro mit zunehmendem Alter immer mehr der Komödie zugewandt. Da zeigt er sich von einer leichteren Seite. Doch selbst hier kann man vor ihm Angst haben, etwa als Pate auf der Psychocouch in „Reine Nervensache“ oder als unberechenbarer Schwiegervater in „Meine Braut, ihr Vater und ich“ (2000). Oft sind das Variationen und Parodien auf frühere Rollen. Lachen und Schrecken liegen da nah beieinander.
Lesen Sie auch: Große Ehre: Schauspielerin Sandra Hüller erhält den Douglas-Sirk-Preis 2023
Aber nicht nur vor der Kamera hat sich De Niro wie ein Chamäleon verwandelt. Auch hinter der Kamera hat er verschiedene Rollen übernommen. Hat eine eigene Produktionsfirma gegründet, die er nach dem New Yorker Stadtteil Tribeca nannte. Hat zwei Mal selbst Regie geführt, bei „In den Straßen der Bronx“ (1993), noch so ein New-York-Verbrecher-Epos, und „Der gute Hirte“ (2006). Und mit dem Tribeca Festival hat er sogar ein eigenes Filmfestival gegründet. Ein Mann und seine Stadt.
In „Irishman“ verjüngt: Das Menetekel, was durch KI technisch möglich ist
Auch mit seinen 80 Jahren ist De Niro noch immer unermüdlich. Gerade sind acht Produktionen in Vorbereitung oder schon abgedreht, seine jüngste Zusammenarbeit mit seinem alten Kumpel Scorsese, „Killing of The Flower Moon“, hatte im Mai in Cannes Premiere und kommt im Oktober ins Kino. Aufs Altenteil zieht sich De Niro nicht zurück. Die Methode, ein anderer zu sein, scheint jung zu halten.
In Scorseses „Irishman“ wurde er indes vor vier Jahren – die Computereffekte machten es möglich – künstlich um Jahrzehnte verjüngt. Ein Filmkniff, der nun wie ein Menetekel zur Stunde wirkt. Denn derzeit streiken die Schauspieler in den USA nicht nur für höhere Löhne, sondern auch gegen den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Filmbranche. Aus Angst, Schauspieler könnten durch digitale Klone ihrer selbst ersetzt werden. In „Irishman“ wirkte das noch gespenstisch. Hoffen wir, dass das auch so bleibt. Und das Kino noch immer von echten Schauspielern geprägt wird. Legenden wie De Niro.